Monatsarchiv: Februar 2015

Das Leben ist kein Showroom…

…auch wenn ich mir manchmal wünschte, es wär so.

In der Chaoshöhle gibt es nur sehr wenige Schubladen.  Der Grund dafür ist, dass ich Schubladen hasse. Sie verkommen oft zu Abladeplätzen für alles Sinnige und Unsinnige.

Ich habe eine kleine Fetischtruhe. Dort ist alles, was mir etwas bedeutet, was aber überhaupt nicht nutzbar ist.

Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Schlüsselanhänger, in dessen Aussparung ein Fünfmarkstück passt. Als Notgroschen. Damals waren fünf Mark ein guter Notgroschen. Heute wären nicht einmal fünf Euro ausreichend.

Der Schlüsselanhänger gehörte meinem Vater. Er wusste selbst nicht mehr, wo er ihn her hatte. Ich fand den toll. Fünf Mark fand ich auch toll. Ich hatte selten fünf Mark. Und wenn, gab ich sie ziemlich schnell für Essen aus. Ich war eigentlich immer hungrig.

Irgendwann, als abzusehen war, dass es nicht länger Fünfmarkstücke geben würde, übergab mein Vater mir den Anhänger.  Sorgfältig schraubte er vorher noch das Fünfmarkstück heraus und steckte es in seine Tasche.

Er hat sich vermutlich nicht viel dabei gedacht. Für mich wurde es aber zu einer Schlüsselszene unserer Beziehung.

Ich habe das Fünfmarkstück irgendwann ersetzt. Ich habe kein Essen dafür gekauft. Heute liegt der Anhänger samt Geldstück aus einer komplett anderen Zeit in meiner Fetischtruhe. Neben der ersten Swatch, die mir mein Vater kaufte, und der ersten Swatch, die ich meiner Mutter kaufte.

Die Truhe füllt sich ständig. Die Karten vom ersten Weihnachtszirkus mit dem Chaosprinzen, ein kleines Haarspängchen von seiner ersten Freundin  Kinokarten für die Biene Maya in 3D. Sein erster Schnuller.

Irgendwo in Indien gibt es eine Religion, die bei der Feuerbestattung des Toten gleich auch seine liebsten Dinge dem Feuer übergibt. Ich finde das sympathisch.  Denn so ist niemand gezwungen, Andenken zu behalten, nur weil sie dem Verblichenen etwas bedeutet haben.

Ich habe das für mich so verfügt. Deshalb sammle ich ohne schlechtes Gewissen weiter. In der Truhe finden die Dinge ihren Platz. Es ist wie ein kleiner Showroom meines Lebens.

Vielleicht ist das Leben doch ein Showroom. Eine Ausstellungshalle der Vergänglichkeiten für unser Sein. Und wir sind die Besucher. Diese Vorstellung gefällt mir.

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Bin ich schon normal?

Gestern waren wir eingeladen.

Das kommt nicht oft vor. Genaugenommen kommt das nie vor. Und ganz genau genommen waren auch nicht wir eingeladen, sondern der Chaosprinz.

Es lud ein die Mutter eines Mitkindergartenkindes.

Das Haus: eine Puppenstube im Shabby Chic Stil, das meiste selbst gebastelt. Bevorzugt in Rosa und Weiß gehalten. Überall Bonbons in dekorativen Gläsern, kleine Cremetörtchen auf Etageren, bunte Tässchen und kunstvoll verzierte Tellerchen. Selbstgenähte Willkommenswimpel hingen von der Decke, Lavendelsäckchen verströmten liebliche Beruhigung, auf den Regalen reihten sich Dosen mit Sarah Key Motiven aneinander.

Ich finde, diese Beschreibung ist mir gut gelungen. Vor allem, weil sie absolut zutrifft.

Wir waren also eingeladen zu Kaffee und Kuchen. Und mit uns ihre ganze, große Familie. Die schon große Tochter mit ihrem Freund, die Schwester mit den beiden Lütten, die Mutter, einige Nachbarskinder.

Wir gaben uns möglichst normal. Wie immer, wenn wir auf andere Menschen treffen, versuchten wir, einen möglichst normalen Eindruck zu machen.

Früher hielt ich mein Anderssein für das Problem. Heute bin ich überzeugt : das Anderssein ist nicht das Problem, sondern die Tatsache,  in keine Schublade zu passen.

Deshalb ging ich dazu über,  möglichst normal wirken zu wollen. Das bedarf einiger Erklärung, vorgefertigter Rechtfertigung und zurechtgelegter Entschuldigung.  Beweisfotos meiner Normalität habe ich im Portmonee. Das sind wir auf dem Weihnachtsmarkt.  Hier waren wir im Phantasialand. Da bin ich beim Kochen des Mittagessens.

Wir sind nicht normal. Nichts an uns passt in irgendeine Schublade. Und deshalb dauert es meist auch nicht lange, bis unsere Scharade auffliegt.

Gestern stellte ich fest: die sind es auch nicht. Und sie bemühen sich fast genauso emsig, Normalität vorzutäuschen.

Was ist schon normal? Und warum strebe ich überhaupt danach?  Das ist so wahnsinnig anstrengend.

Weil Anderssein einsam macht.

Vielleicht waren wir deshalb gestern eingeladen.

 

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