Monatsarchiv: Mai 2017

In manchen Nächten ist an Schlaf nicht zu denken.

Da liege ich dann wach, die Augen weit zur Dunkelheit hin geöffnet, und möchte geliebt werden.

Manchmal ist mir nicht nach Schlafen, dann will ich luzide träumen und den Moment festhalten. Manche Augenblicke sollten nicht vorübergehen dürfen, man müsste sie festhalten können, konservieren für die Ewigkeit.

Wie den Anblick dieses zauberhaften Wesens. Eine Begegnung mit der guten Fee aus längst vergessenen Märchen. Wie sie lieben, was sie tun. Und dafür werden sie geliebt.

Der Fotograf ist Wiener alter Schule. Er beugt sich herab und küsst die Hand, gnädige Dame. Ich ziehe meine schnell zurück. Ich bin nicht gnädig und eine Dame schon gar nicht,  und mir die Hand küssen zu lassen, erscheint mir in Anbetracht meiner Erscheinung vollkommen unangemessen.

Wie sie sich versammelt haben, um ihre Arbeit zu feiern,  und man darf meinen, sie sei wenig kunstvoll gefertigt, und doch ringt einem das feierliche Ambiente zwischen Sekt und Selters den nötigen Respekt schon ab.

Und in der Mitte des Kreises der leuchtende Stern, ein kaum hörbarer französischer Akzent, charmant wie ein scheues Lächeln.

Manchmal ist die Nacht zum Träumen gemacht. Von Möglichkeiten und dem Unmöglichen.  Von Fotografen mit antiquierten Gesten und leuchtenden Sternen der Szene. Von Lieblingsmenschen und bestechender Ästhetik.

Manchmal muss man sich nachts die Welt erträumen, um den Tag zu überstehen.

 

 

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Ich bin ein Jemand.

In der Anonymität des Warteraums bin ich eines von hundert Gesichtern. Gespeicherte Daten auf einem Computerchip. Ich habe Angst.

Jedes Mal, wenn die Schiebetüren des Warteraums sich lautlos öffnen geht ein Jemand hinaus, ein anderer Jemand kommt herein. Man lächelt kurz und schweigt. Irgendwann schaut niemand mehr auf. Hilflosigkeit überschwemmt den Raum.

Ich habe Schmerzen. An etwas anderes kann ich nicht mehr denken. Man schiebt mich zum Röntgen und stellt mich dort ab. Sie müssen jetzt doch nicht weinen. Es tut weh. Ach so. Man schiebt mich zurück und stellt mich dort ab.

Es vergehen Stunden. Jemand bekommt einen Gips. Jemand Tabletten. Freundlich wird ausgerichtet, es dauere noch etwas. Ich bekomme einen Schmerztropf.

Auf dich hat die Welt gewartet. Zumindest deinem festen Schritt nach zu urteilen, als du dynamisch den Behandlungsraum betrittst. Du bist Mitte Dreißig und hast nicht promoviert, also kein Grund für die Schwester, dich ständig „Doktor“ zu nennen. Du gibst dich souverän. Zuversichtlich beleuchtest du das Röntgenbild. Und erkennst nichts.

Ganz professionell hast du die Maske des milden Interesses aufgesetzt, während du mir zuhörst. Und deine Stimme klingt seltsam einstudiert, während du mir die Schmerzen zu rechtfertigen versuchst. Meinen Namen konntest du dir nicht merken. Acht Stunden habe ich auf dich gewartet. Du widmest mir zwölf Minuten.

Für jemanden bin ich jemand. Für dich bin ich ein Niemand. Hereinspaziert, herausspaziert. Schließen Sie die Tür, wenn Sie gehen, Dankeschön. Man ist höflich.

Wirklich etwas für mich tun konntest du nicht. Dazu reichte die Zeit nicht, und außerdem ist das ja auch nicht dein Job. Ich bin betäubt. Gute Besserung. Und ein gewinnendes Lächeln. Wehenden Kittels eilst du den langen Flur hinunter. Deine Zeit ist kostbar.

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Und so beginnt…

…einer meiner häufigsten Albträume:

Ein Haus mitten im Nirgendwo zwischen zwei dünn besiedelten Straßendörfern an der Landstraße unmittelbar hinter einem Stück Wald.

Hohe Zypressen säumen den Vorgarten und verdecken die Fassade, lediglich die Eingangstür ist von der Straße aus gut einsehbar. Neben dem Hauseingang wuchert ausladend eine Tanne.

Das Haus ist innen größer, als es von außen den Anschein hat. Ein offener Wohnbereich, nur vereinzelte Spots beleuchtet, ein kurzer Blick auf den offenen Kamin, in dem ein Feuer glimmt.

Rechts davon führt eine breite Treppe in einen Kellerraum, der als Lager für Medikamente dient. Hier ist alles laborweiß und gut ausgeleuchtet. Grelle Kastenstrahler wie auf Krankenhausfluren.

Auf hunderten von weißen Regalböden lagern tausende von Großpackungen mit komplizierten Namen drauf. Mehrere Labortische mit Equipment ausgestattet, das ich aus dem Chemieunterricht kenne, unterteilen den riesigen Raum und geben ihm einen professionellen Anstrich.

Ich bin kein Kind mehr, irgendwo zwischen Grundschule und Pubertät, ich bin allein, und es ist still. Ich fühle mich verloren zwischen all dem Gift, aber fasziniert von der professionellen Ordnung, die hier herrscht. Langsam gehe ich an den offenen Regalen vorbei, ich erkunde einen Labortisch mit blütenweißem Abfluss an der Seite. Ich habe unendlich viel Zeit. Mir ist leicht schwindelig von dem grellen Licht auf den weißen Kacheln, zu kalt, um die Jacke auszuziehen, zu warm, um sie anzulassen.

So beginnt einer meiner größten Albträume, in einem Haus mit Tanne im Vorgarten, in einem Ort, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern kann, mit diesem klinisch reinen Medikamentenlager im Keller.

Ich habe keine Ahnung, wie er endet.

 

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Nachmittags

In der Welt um mich herum herrscht ein einzigartiges Chaos. Jeden Augenblick verändert sich dessen Qualität, und ich bin dem schutzlos ausgeliefert. Etwa 20.000 Mal am Tag freue oder ärgere ich mich, bin enttäuscht, verängstigt oder wütend. Ich liebe und hasse nur Sekunden später, dann wiederum werde ich so müde, dass ich wie betäubt wahrnehme und mir alles gleichgültig wird.

Das Chaos um mich herum nimmt keine Rücksicht. Donnernd fährt der Bus vorbei, nervöse Autofahrer hupen die empörten Fußgänger an. Ein Mann brüllt ihnen ein Schimpfwort hinterher, irgendwo weint ein Kleinkind. Für die Welt bin ich genauso wenig geeignet, wie die Frau mittleren Alters, die sich Plastikblumen ins Haar gesteckt hat und vorsichtig langsam auf Plateauschuhen beeindruckender Höhe die Straße überquert.

Ich bin aus der Welt gefallen, wie ich so da sitze in diesem Italiener neben dem Aldi, mitten in einen hitzigen Frühsommertag, vor mir der schwarze Espresso, an den ich mich erinnern werde, wenn ich heute Nacht nicht schlafen kann.

Der Moment ist so vollkommen, dass er aus der Werbung stammen könnte. Für einen kurzen Augenblick kommt kein Auto vorbei, mein Gehirn blendet die lauten Geräusche hastender Menschen aus und ersetzt sie durch einen lange schon vergessenen Song.

Der Chaosprinz kommt aus dem Aldi gestürmt.

“Komm mit, Mama!“

Das Chaos um mich herum ist perfekt.

 

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Trüb

Der erste Mai bringt erhofften Regen. Kalt ist es nicht.

Ich werfe mich müde im Bett hin und her, im Traum hat längst Vergessenes mich eingeholt, und das will erst einmal verarbeitet werden.

Ich plane nicht mehr. Wie lange schon nicht mehr, das kann ich nicht sagen. Die Dinge werden spontan entschieden oder gar nicht. Einen Plan gibt es nicht mehr.

Unten tobt der Chaosprinz. Kistenweise hat er Lego Steine auf den Wohnzimmer Teppich gekippt und sucht ein Teil, nicht größer als ein 2-Cent-Stück. Ich höre ihn seine Kindergarten Flüche fluchen.

Eigentlich ist mir nicht nach aufstehen. Meine nackten Füße scheuen die klamme Kälte der Bodenfliesen und die scharfen Kanten der Lego Steine.  Das Haus ist im Chaos.

Die Welt ist auch ein Chaos. Sie gibt sich äußerlich den Anschein, immer noch gut zu funktionieren, das Chaos nimmt aber stetig zu. Vermutlich war das nie anders, es schien mir nur so.

Mitten drin in diesem Chaos kann man mit Google Earth auf die 750qm zoomen, auf denen das geliehene Haus steht. Ein Garten, den wir pflegen, weil der Hund dort immer wieder reinscheißt und der Chaosprinz seine Löcher buddelt. In der Idylle dieser Vorstadt wohnen wir.

Von Außen betrachtet scheint das gut zu funktionieren.

 

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