Monatsarchiv: Oktober 2017

Heimweh

Ich mag keine nächtliche Kälte und herbstlichen Sprühregen. Ich mag die Sonne nicht, die mich blendet und doch nicht wärmt. Der Kälteeinbruch Ende Oktober geht ohne tobende Gewitter irgendwann über in stillen Schneefall, und es wird Winter. Ich mag keinen matschigen Herbst.

Ich lese keine Bücher mehr und schaue nicht fern, ich breche zu leicht in Tränen aus. Selbst Werbung für Waschmittel appelliert rührselig an unsere Gefühlswelt. Epochale Filme längst vergessener Leinwandlegenden erinnern mich an die Vergänglichkeit. Zeit trägt alles ab. Unter ihrem Ticken bricht der härteste Felsen. Ich höre keine Musik mehr. In der Stille der Dunkelheit lausche ich dem gleichmäßigen Atem.

Es muss nicht warm sein, um schön zu sein. Es muss nicht in Farbe sein und nicht in Dolby Digital.  Es soll nur nicht hier sein. Und nicht jetzt.

Irgendwo steht jetzt ein Engel, aus feinstem Marmor kunstvoll gestaltet, und bewacht den Aufgang zu einer Brücke. Die Arme über der Brust gekreuzt, die Augen fest geschlossen. Von fern hört man das Geräusch, das ein Wagen macht, wenn man den falschen Gang erwischt.

Und ich friere.

 

 

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Kindergeburtstag

Und morgen um halb drei fallen Horden Kinder in mein Haus.

Wie funktioniert ein Kindergeburtstag?

An meinen trafen meine Mutter und ich uns vormittags am Hausaltar zum Beten. Gedacht wurde meiner Schwester, ohne die ich nicht Teil dieser Familie geworden wäre. Sie starb an ihrem zweiten Geburtstag, was ein Jahr danach auch mein Geburtstag wurde.

Es gibt Trauer, die erwirbt man. Und es gibt Trauer, die man erbt.

An meinen Geburtstagen weinten wir vor der Ikone Jesu um das Leben meiner Schwester. Meist zog meine Mutter sich dann zurück, um in Stille weiter zu trauern. Ich ging in mein Zimmer und versuchte zu lesen.

Wie funktioniert nun also ein Kindergeburtstag?

Ich war nur selten zu welchen eingeladen worden, und wenn doch, dann schnitt ich aus lauter Unsicherheit kaum etwas mit. Meist fand man mich neben den Kuchenresten, denn ich war praktisch immer hungrig.

Ein Kindergeburtstag will gut vorbereitet sein. Meist kann man zwar die beste Vorbereitung nach der ersten Viertelstunde schon in die Tonne treten, aber darauf verlässt man sich keinesfalls vorher.

Der gängige Kindergeburtstag dauert drei Stunden. Eingebürgert hat sich die Zeit zwischen halb drei und halb sechs. Nicht fehlen darf das Flaschendrehen zum Geschenkeauspacken, diverse Spiele wie Elefanten füttern oder Topfschlagen, blinde Kuh oder Stoptanz, und natürlich eine Schatzsuche.

Fixpunkte sind das Kuchen Essen gegen Drei und das Abendessen um Fünf. Alles andere wird drum herum gebastelt.

Wen lädt man ein?

Später, als ich schon etwas älter war, hatte ich Mühe, die Leute dazu zu überreden, zu meiner Geburtstagsfeier zu kommen. Meist fand sich eine bunt gemischte Handvoll Einsamer ein, die einander nichts zu sagen hatten. Einen Kuchen gab es nicht.

Man fragt das Geburtstagskind, wen es einladen möchte. Dann schreibt man gute drei Wochen vorher hübsche Einladungskarten, auf denen neben dem Motto und der Telefonnummer für die Zusage auch steht, wie sehr man sich auf den anderen freut. Dann verteilt man die Einladungen selbstbewusst an die Eingeladenen. Meist sagen sie zu.

Noch später habe ich aufgehört zu feiern. Ich nahm telefonische Glückwünsche von Tanten und Bekannten hin und widmete mich ansonsten dem Alltag. Ich fand, es gäbe nichts zu feiern.

Es hat sich eingebürgert, den Gastkindern beim Abholen ein kleines Geschenk in die Hand zu geben. Meist ist es ein Tütchen mit Süßigkeiten und etwas Spielzeug, das ihr Kommen wertschätzen und sie an die Feier erinnern soll.

Heute feiere ich meine Geburtstage nachmittags mit einer Handvoll echter Freunde. Es gibt Kaffee und Kuchen und ein paar gute Gespräche. Am Vormittag meines Geburtstags fahre ich in die Kirche, zünde eine Kerze an und gedenke meiner verstorbenen Schwester. Es gibt eben Trauer, die man erbt.

 

 

 

 

 

 

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Vera

Und inmitten der Vorbereitungen auf den Geburtstag des Chaosprinzen starb meine Tante, und meine Schwester wollte es mir nicht sagen.

Ich habe viele Tanten. Bei uns zählen alle Cousins und Cousinen als Brüder und Schwestern, ganz egal, über wie viele Ecken. An wen man sich erinnert, der zählt zur engeren Familie.

Meine Tante war alt. Sie muss an die 90 geklopft haben. Sie war unverheiratet geblieben und lebte bei ihrer Schwester, meiner anderen Tante. Die letzten drei Jahre ihres Lebens war meine Tante völlig dement. Sie erkannte kaum mehr jemanden um sich herum und wusste die meiste Zeit über nicht, wo sie sich eigentlich befand. Meine Tante hat in den letzten Jahren ihres einsamen Lebens nur noch viel Arbeit gemacht.

Wenn man in einem so hohen Alter stirbt, dann ist kaum jemand mehr übrig, der um einen trauert. Für die Familie war ihr Tod abzusehen, und statt unseres Beileids tauschen wir Floskeln aus: Na ja, gut, Sie war eben auch alt und hatte doch ein gutes Leben, und irgendwie musste es doch auch so kommen. Schließlich ist das doch unausweichlich.

Meine Schwester konnte absehen, dass die Beerdigung auf den sechsten Geburtstag meines Sohnes fallen würde. Deshalb behielt sie es für sich.

Meine Tanten und Onkel sind alt. Zumindest die, denen vergönnt war, ein hohes Alter zu erreichen, und für meine Brüder und Schwestern ist das kein Segen. Ich weiß das, denn mich hat die Pflege meiner Mutter damals an den Rand meiner eigenen Existenz geführt. Jetzt steht meine Schwester vor dem Kräftebankrott. Eine gestorben, noch zwei zu pflegen. Seit Monaten schon kann S. keine drei Sätze mehr zusammenhängend sprechen, seit Monaten mache ich mir Sorgen um sie.

„Unsere Schwester ist eben starrsinnig“, sagt die Schwester M. aus Amerika gestern am Telefon. „Sie möchte einfach immer alles unter ihrer Kontrolle haben, da kann man ihr gar nicht helfen.“ Wochenlang hatte ich versucht, sie ans Telefon zu kriegen, um mit ihr über S. zu reden. Und darüber, dass S. seit mehr als drei Jahren neben ihrer eigenen auch noch M.s Mutter betreut. Und meine Tante.

„Die ist ja nun gestorben“, sagt M., und: „jetzt wird das ja hoffentlich alles leichter für S.“

Der Chaosprinz war nach einem wunderschönen, herrlich anstrengenden Geburtstag in tiefen Schlaf gefallen, als ich gestern S. anrief. „Du hättest morgen davon erfahren“, sagt sie und ist unendlich müde. „Du weißt, ich bin in zwei Stunden bei dir“, sage ich, aber ich weiß, dass sie das nicht erreicht. „Sie war eben alt“, sagt S.

Nach dem Telefonat bleibe ich noch ein wenig draußen sitzen. Die Nachtluft ist kühl und frisch, Wolken hängen den Himmel ab und verdunkeln das Mondlicht. Und ich nehme mir bewusst einen Moment lang die Zeit zu trauern.

Irgendwo habe ich noch das Kinderbild der Tanten, wie sie mit meiner Mutter auf einer kleinen Brücke iegendwo in Südserbien stehen. Das muss Mitte der 30er aufgenommen worden sein.  Die drei Schwestern haben das Foto als rüstige Rentnerinnen 2000 noch einmal nachgestellt. Zwei von ihnen gibt es jetzt nicht mehr. Und die dritte…

 

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Allwettergrippe

Nichts anzufangen mit mir seit einigen Tagen. Der Kopf schmerzt, der Hals kratzt, die Glieder tun weh – ich bin erkältet.
Kein Drama, meint der Chaosprinz und zerrt mich ungeduldig aus den Federn.

Doch Drama, halte ich dagegen, aber wie soll ich dem Kind erklären, dass Mamas Beine im Moment nicht so recht wollen, dass das Wasser sich staut und selbst die Handgelenke auf doppelte Breite anschwellen. Wie soll ich ihm zwei hoch komplizierte, seltene chronische Erkrankungen erklären, von denen ich selbst erst erfahren habe, seit sie mich betreffen. Die Erkältung, so könnte ich dem Kind jetzt erklären, die kommt einfach nur noch oben drauf.

Der Chaosprinz zeigt kein Verständnis.  Er lässt keine Gnade walten. Der Chaosprinz findet, es sei einfach zu wenig los bei uns. Es regnet wie im November. Es schüttet nicht, aber feiner Nieselregen nebelt das Haar und die Klamotten ein. Ich friere. Selbst mit einer Wärmflasche und unter der schweren Daunendecke ist mir kalt. Der warme Tee ist nur bedingt hilfreich.

Der Chaosprinz langweilt sich. Selbst vor der Legokiste und mit eingeschalteter Kindersendung ist er genervt. Er möchte nach Legoland. Ins Phantasialand. Ins Hallenbad. Oder auf den Mars. Der Chaosprinz möchte einfach jetzt nur nicht hier sein in seinem unfreiwilligen Hausarrest, und wer könnte ihm das verdenken.

Ich lese derweil in einem Buch darüber, wie man herausfinden kann, wer man wirklich ist. In dem Buch steht drin, dass da niemand einem mit helfen kann, herauszufinden, wer man wirklich ist. Diese Erkenntnis passt in einen Satz, und neu ist sie auch nicht, aber da niemand so recht weiß, wer er wirklich ist, lässt es sich wirklich prima verkaufen.

Nichts los mit mir seit einiger Zeit. Ich taumele unter der Last meiner Emotionen, schwanke wie ein betrunkener Teenager. Manchmal erdrückt von Schmerz, manchmal überwältigt von Freude. Erinnerungen passieren den Tag, kreuzen die Schwerter, und das, was als Funke überspringt, entfacht ein Feuer, das nicht gelöscht werden kann. Allenfalls erstickt.
Was ist das nur, was Nostalgie ausmacht? Als sei früher alles besser gewesen.

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Herbststerben

Es gibt Wochen, die dürfte es nicht geben.

Die Ereignisse der einzelnen  Wochentage verschwören sich zu dem einen Zweck: um mir zu zeigen, an welchem Punkt ich eigentlich in meiner Menschwerdung stehe. Begegnungen aus einer längst verdrängten Zeit, meine Träume sind tief wie der Ozean, und ich tauche ohne Luft.

Längst schon fürchte ich mich vor meinen Worten, die so verräterisch sein können. Aber längst schon gibt es mich auch in einer anderen Version.

In einigen Tagen hat der Chaosprinz Geburtstag. Er wird sechs Jahre alt, und ich kann sehen, wie schwer es ihm fällt, seine ersten Schritte in einen neuen Abschnitt zu gehen. Es ist wie noch einmal Laufen Lernen, diesmal aber auf festen Pfaden, die von größter Unsicherheit geprägt sind. Und seine Mutter kann ihm nicht helfen, hat sie selbst diese Pfade doch nie betreten.

Aus so einer Woche entlässt mich dieser Sonntag in die Gewissheit, dass nichts ist, wie die Erinnerung es mir jahrelang zurecht gelegt hatte.

Trügerisch ist die Herbstsonne, sie scheint hell und freundlich, doch ihr Licht gibt keine Wärme mehr. Sie hat sich von uns entfernt. Ein buntes Sterben hängt in den Bäumen, fröhlich fast. Der Winter kommt, kalt und klar und ohne Sonne, und das Einzige, was jetzt noch zählt, ist die Erinnerung an ihre Wärme.

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Und alles biegt sich

und es bricht sich. Ein Kaleidoskop von Schwierigkeiten, die im Zentrum zu einer einzigen Aufforderung zusammenfließen. Meine Welt verändert sich in rasendem Tempo, viel zu schnell für gut durchdachte Pläne.

„Du bist nicht der rettende Engel von Belgrad“, sagt die Suppenfreundin und meint damit, dass sie meinen unbändigen Wunsch, jetzt an jeder der sieben Ecken in die Bresche zu springen, gut verstehen kann. Und ihn trotzdem für schwachsinnig hält.

‚Sie hat Recht‘, denkt mein Kopf und argumentiert. Das Für und Wider lässt sich kaum noch abwägen, wenn man sich im Ungleichgewicht befindet. Denn seit Wochen schon wackle ich wie ein Milchzahn. Selbst nicht fest im Sattel bin ich bereit loszureiten. Ziel: Retterin von Belgrad. Motiv: schlechtes Gewissen. Ergebnis: ungewiss.

Gewiss ist lediglich, dass jemand sterben wird. Wer zuerst, das entscheidet ein Anderer für uns. Einen bindenden Vertrag gibt es da nicht. Und die Katastrophen jagen einander um den Block.

Zwischen Wollen und Können liegt ein ganzes Tränenmeer. Zwischen hier und Belgrad 1483 km. Wenn man über Ungarn fährt. Fliegen käme nicht in Frage.

„Ich wünschte, die Mama wäre wieder gesund“, sagt der Chaosprinz der Kindergärtnerin, während die Kleinen Mittagsschlaf halten.

Und das sollte das Einzige sein, was jetzt für mich zählt.

 

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Was vom Tage übrig blieb

Es ist schon längst dunkle Nacht, der verhangene Himmel lässt kaum den Mond durchscheinen, und das einzige Licht kommt von elektrischen Quellen in der Nachbarschaft.

Im geliehenen Zimmer ist es stockfinster. Das einzige Geräusch sind hin und wieder vorbei bretternde Fahrzeuge auf dem Weg in die Stadt. Und das, was mein Kopf seit Stunden produziert, ein tiefes, unzufriedenes Gebrummel, ähnlich einer Bowlingkugel, die über den Holzboden rollt.

Ich sitze aufrecht im Bett, das nicht meines ist, und denke über diesen Tag nach. Über das, was außerhalb von mir passiert, Vorbereitungen auf die Einschulung im nächsten Jahr, Planung des nahenden Geburtstags, das Chaos im Haus, und wer es beseitigen könnte. Darüber, wie plötzlich eine alte Schulfreundin ganz hier in der Nähe sich zu einem Kaffee angemeldet hat, und wie wenig Interesse ich daran habe.

Sie hat mich nicht gemocht, die alte Schulfreundin. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, jemals näheren Kontakt zu ihr gehabt zu haben. Ich war ihr wie den meisten braven Mädchen mit großen Ambitionen wohl einfach zu laut, zu schrill, zu anders.

Dabei wollte ich doch so gern dazu gehören. Zu diesen Mädchen, die sorgsam ihre Hausaufgaben erledigten und dunkelblaue Pullover mit V-Ausschnitt trugen. Ich wäre gerne weniger aufgefallen, hätte gern öfter geschwiegen und dadurch klüger gewirkt. Aber wenn ich nervös werde und unsicher, dann fange ich an zu plappern. Meist völlig zusammenhanglose Belanglosigkeiten, aber nie über das Wetter. Ich habe schließlich auch Prinzipien!

Meine Schulzeit war eine Kette langer Tage, die von Unsicherheit geprägt waren. Kein Wunder also, dass die anderen Mädchen nicht viel mit mir anfangen konnten. Ich nehme es ihnen ja auch gar nicht übel.

Interessanterweise ergaben aber sporadische Gespräche mit Schulkameradinnen, dass sie mich offenbar gar nicht mehr so in Erinnerung haben. Genau genommen scheinen sich die wenigsten an die vielen typisch zickigen Gemeinheiten an meine Adresse gar nicht mehr zu erinnern. Es ist aber auch schon ein Viertel Jahrhundert her. Das muss man fairerweise dazu sagen.

Besagte Schulfreundin entdeckte wohl eher zufällig, dass ich jetzt in ihrer Nähe wohne, und nimmt das zum Anlass, sich einzuladen. Einen konkreten Grund dafür habe ich ihr nicht geboten. Vielleicht ist sie einfach neugierig oder möchte alte Zeiten erinnern. Wo wir eigentlich kaum etwas mit einander zu tun hatten, sollen jetzt also gemeinsame Erinnerungen wach werden.

„Alte Gedanken“, so nennt der Chaosprinz Erinnerungen, und nie fand ich das passender als jetzt. Es sind alte Gedanken, die durch meinen Kopf rollen, an längst vergessene Tage aus einem völlig anderen Leben. Das Damals hat mit meinem Heute nicht mehr viel zu tun.

Zumindest wünsche ich mir, dass es so ist. Viel zu häufig fühle ich mich noch so unsicher wie damals, das kleine Mädchen mit dem runden Gesicht, unordentlich geflochtenen Zöpfen und abgetragener Kleidung. Das morgens als erste durch die Pforte ging und fast eine ganze Stunde vor Unterrichtsbeginn frierend in einer Ecke des Schulhofs auf kalten Steinen saß und darauf wartete, dass vielleicht irgendwann irgend jemand auftauchen würde, um sie aus diesem falschen Film zu holen.

Manchmal fühle ich mich immer noch, als sei ich im falschen Film. Aber immer öfter entdecke ich winzige Kleinigkeiten an mir, in denen ich diejenige erkennen kann, die ich immer sein wollte, und das ist doch auch schon mal was.

Wenn der Gedanke an diese Winzigkeiten vom Tage übrig  bleibt, wenn es mir gelingt, das Rollen der Bowlingkugel zu übertönen, bevor der neue Tag anbricht, dann wird die Nacht ruhig und ich kann traumlos schlafen.

 

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Eigentlich

Eigentlich schreibe ich täglich. Ich bin eine Morgenseiten-schreiberin, führe Tagebuch, schreibe bei Facebook meine Gedanken auf, ungeachtet dessen, dass sie meist unverstanden bleiben, führe ein Glückstagebuch, ohne dabei glücklich geworden zu sein, und manchmal, viel zu selten, bemühe ich den Blog.

Ich schreibe. Manchmal offen wie ein aufgeschlagenes Buch, manchmal fest verschlossen mit sieben Siegeln, immer dann, wenn ich zwar schreiben muss, aber nicht gelesen werden möchte.

Ich habe genau genommen nie etwas Anderes getan. Denn, selbst wenn ich nicht schreibe, formuliert mein Kopf unaufhörlich Sätze. Die meisten vergesse ich sofort wieder, in manche verliebe ich mich, die sind dann für die Ewigkeit.

Ich schreibe nicht mehr für Andere. Zumindest bemühe ich mich, es nicht zu tun. Es ergibt wenig Sinn, für Andere schreiben zu wollen, wenn man nicht dem Gespür dafür folgt, was Andere lesen möchten. Ich schreibe nicht für Andere, aber ich schreibe nicht für Niemanden.

Vielleicht sollte ich mich wieder dem Blog anvertrauen. Dieser gesicherten Anonymität des weltweiten Netzes, die mir erlaubt, ehrlich zu sein, auch und vor allem mit mir selbst.

Ich bewundere Menschen, die etwas Anderes zum Thema machen, aber in Wahrheit schreiben wir doch alle über uns selbst. Und wenn wir es noch so gut hinter einer erdachten Geschichte verstecken.

Ich schreibe über mich selbst. Über den Chaosprinzen und meinen Hund. Über die seltsame Herde, in der ich mich bewege.

Ich habe keine Leser. Ich schreibe einfach.

Irgendwann wird es Jemand lesen, der so ähnlich ist wie ich. Der sich unverstanden fühlt, weil er sich hinter komplizierter Semantik versteckt.

Und das, genau das ist es wert.

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