Kürzlich las ich, dass einige von Handkes Notizbüchern aus den Jahren 1971 bis 1990 nun als Transkription oder sogar als Facsimile online gestellt wurden. Die Neugier trieb mich und ich blätterte mich etwas durch die eng beschriebenen Seiten seines Schaffens.
Viele Autoren haben versucht, den Prozess des Schreibens transparent zu machen, zu erklären, wie sie an ihre Themen kommen, wie sie Charaktere entwickeln und Handlungsstränge spinnen. Doch im Grunde springen all diese Erklärungen zu kurz. Etwas daraus zu lernen, scheint nur dann möglich, wenn man sich mit dem Schreibprozess auf einer abstrakt intellektuellen Ebene auseinandersetzen oder aber die Beweggründe und den inneren Anspruch gerade dieses Autors nachvollziehen möchte. Im Vordergrund steht dabei entweder das Handwerk oder das Interesse am Menschen hinter dem Schriftsteller.
So erhält man auch hier einen guten Einblick in Handkes Denken, in seine Beobachtungen. Die Notizen sind weniger projektorientiert als vielmehr Beobachtungen zu der Sache an sich. Manchmal erstaunt innwendig, manchmal ganz plakativ extravertiert. Sie geben Aufschluss darüber, wie Handke die Welt wahrnahm, immer im Hinblick auf das eigene Schaffen.
Manchmal, wenn ich an freien Tagen selbstvergessen in meinen Laptop tippe oder in mein Notizbuch schreibe, halte ich an irgendeinem Punkt inne und schaue auf das Geschriebene. Stunden sind vergangen, draußen ist es schon dunkel geworden und was macht eigentlich der Chaosprinz? Dann kommen mir heftige Zweifel an meiner Freizeitgestaltung. Denn das Schreiben ist kein gutes Hobby. Es macht einsam, frisst Zeit und das Ergebnis gerät oft kryptisch. Und es folgt keinem Ziel, zumindest keinem greifbaren.
Nun bin ich auch nicht Handke, denke ich, ich veröffentliche keine Bücher und Romane. Dahinter steht die Überzeugung, der Welt nichts von Bedeutung zu sagen zu haben. Mein Vorhaben, einmal selbst etwas zu veröffentlichen, scheiterte früh an geringem Selbstwertgefühl und überhöhten Ansprüchen. Deshalb gab ich es irgendwann auf, zugunsten der Sache an sich. Dem Schreiben, das so viel Zeit und Mühe kostet und doch immer von der Leere verschluckt wird. Es scheint, als diene es nur diesem einen Zweck, mir selbst die Welt erklären zu wollen. Andere schauen fern oder lesen ein Buch. Ich schreibe und jeder Satz führt mich ein kleines Stück tiefer zu mir selbst, lässt mich Zeit mit mir und für mich verbringen. Ich könnte wohl genauso gut ein Vollbad nehmen, aber ich stehe nicht so auf Bäder.
Vielleicht, wenn ich etwas Lesbares schreiben würde, frage ich mich, etwas, das einem Zweck dient, ein Ergebnis hervorbringt und so seine Daseinsberechtigung erhält. Sachbücher zum Beispiel, die werden gebraucht. Man müsste die Zeit dann nicht mehr rechtfertigen, die das Schreiben schluckt, so wie ich das immer muss. Schon meine Mutter hielt es für eine extreme Zeitverschwendung und verbot es mir, meine Zeit mit Worten zu verschwenden, die ohnehin niemand je lesen würde.
Aber dann fällt mir ein, dass das Schreiben für mich eine Notwendigkeit ist, etwas das völlig fern von der Be- oder Verurteilung anderer ohnehin und immer stattfindet, ganz gleich, ob es einem Ziel entgegenstrebt oder nicht. Durch mein Leben hindurch hatte kaum etwas so lange Bestand. Es scheint ganz einfach das Ziel zu sein, wie das Lesen, Meditieren oder Spazierengehen. Das liefert auch keine greifbaren Ergebnisse, da erwartet das auch niemand, es passiert ganz einfach.
Dieses Bild des umfallenden Baumes im menschenleeren Wald trage ich schon lange mit mir herum, es ist wie ein Vexierbild meines Schreibens. Der Baum, der umfällt, erzeugt ein Geräusch. Nur, weil es von niemandem in seiner Umgebung wahrgenommen wird, bedeutet das ja nicht, dass es kein Geräusch gegeben hat. Denkt man das Bild weiter, so ist das Geräusch des umfallenden Baumes aber doch nur der Nebeneffekt eines viel bedeutenderen Ereignisses: Schließlich ist der Baum ja umgefallen. Auf ihn hatte dieser Moment also eine im wahrsten Sinne des Wortes umwerfende Wirkung. Wen interessiert da noch das Geräusch? Oder, noch weniger, von wem es wahrgenommen wurde?
Manchmal bin ich denkfaul, ich finde es dann anstrengend, die Dinge konsequent zu Ende zu denken. Manchmal neige ich dazu, über Dinge nachzudenken, die anderen ganz selbstverständlich und keines Gedanken wert erscheinen. Und manchmal durchdenke ich die Dinge in ihrer Vollständigkeit und komme doch zu keinem befriedigenden Ergebnis. Und so ist das dann auch mit dem Schreiben. Ohne geht es nicht, das zeigt mein Leben mir immer wieder. Die Worte erobern sich ihren Platz in meinem Leben, ob ich Zeit habe oder nicht. Ob ich das Ergebnis dann wertschätze oder nicht. Es passiert einfach. Es braucht keine Zielführung, keine Rechtfertigung, denn ob ich sie habe oder nicht, es passiert trotzdem. Mir vorzunehmen, etwas weniger zu schreiben, wäre wohl vergleichbar damit, mir vorzunehmen, etwas weniger zu atmen. Wie lange ich die Luft auch einhalte, irgendwann obsiegt der Reflex und ich atme laut und hörbar wieder aus.
Das „Geräusch“, das beim Schreiben entsteht, ist ein Nebeneffekt, weshalb ich meinen Blog auch lange Jahre „side effects“ genannt hatte. Ob es wahrgenommen wird, ist keine Frage des Ereignisses an sich, es ist tatsächlich eher unbedeutend.
Und so schreibe ich seit einigen Tagen auch hier wieder regelmäßig, diszipliniert und begeistert. Ich rechtfertige die benötigte Zeit damit, in einen Blog zu schreiben, den Inhalt also zu veröffentlichen, ihn zum Lesen freizugeben, anzubieten, ohne zu wissen, ob er einen tieferen Sinn ergibt oder nicht.
Denn ich bin der Baum, der im menschenleeren Wald umfällt.
Ich mache ein Geräusch.
Die Wirkung auf mich ist tatsächlich umwerfend.