Die zweite Woche im Januar ist nur so dahingerast und nun steht das Wochenende vor der Tür.
Der Chaosprinz hat sich schnell wieder an das frühe Aufstehen gewöhnt. Am Montag noch saß er bleich und fröstelnd vor seinen Chaoscereals und starrte missmutig auf den Löffel. Heute hüpft er gut gelaunt aus dem Haus. Unter seinen Schritten knirscht der gefrorene Raureif.
Für mich ist das frühe Aufstehen eine abscheuliche Folter. Kurz bevor der Wecker klingelt, werde ich mir der Ausläufer meines Traums bewusst. Es braucht Zeit, bis ich mich in meinem Leben wiederfinde, bis ich weiß, wo ich bin. Meist ist der Inhalt des Traums sofort vergessen. Morgensteif stakse ich aus dem Bett auf das Sofa. Dort bleibe ich erstmal sitzen und lese die morgendlichen Schlagzeilen.
Online teilt die Welt sich mir im Sekundentakt aktualisiert mit. Nachrichten ticken in Echtzeit, nichts wird verpasst. Spannend, zeitraubend und fürchterlich anstrengend. Die Geschwindigkeit, mit der jede Form von Informationen, Erkenntnissen, Kommentaren und Meinungen veröffentlicht und übertragen wird, ist atemberaubend. Das Gehirn ist auf permanenten Empfang geschaltet. Was ich alles nicht wusste. Dabei bin ich noch so müde.
Die Welt dreht sich. Das tat sie immer schon. Jedes Jahrzehnt hat seine eigenen Themen und Herausforderungen. Und jetzt eben diese. Die Nachrichtenübermittlung wird immer schneller. Sie erreicht uns aus den entlegensten Winkeln der Welt, verkauft uns Ansichten als Tatsachen, preist herrschende Meinungen und prangert vermeintliche Missstände an. Sie peitscht emotional auf mit reißerischen Schlagzeilen und verspricht Sensationen, die sie nicht halten kann.
Eine Eilmeldung über das Gerücht um die vermeintliche Teilnahme eines unbekannten Gesichts am Dschungelcamp. Weiter meldet man mir eilig die Trennung der Trällerliesl von Herrn Sumsemann. Eilig wird daraufhin gemeldet, dass es eigentlich nichts eiliges zu melden gibt. Genervt frage ich mich, wozu ich das dann alles wissen muss.
Morgen für Morgen erschlagen mich die Nachrichten auf meinem Sofa. Dann wünschte ich, ich könnte mich all dem wieder entziehen, mir keine Meinung bilden müssen. Mich auf meinen alten Elfenbeinturm zurückziehen, die Rollladen herunterlassen, den Kopf einziehen und hoffen, das Gewitter möge vorbeiziehen und die nächsten Wolken nicht so bedrohlich nah über mir hängen.
Doch seit ich den Chaosprinzen jeden Tag in die Welt hinausschicke, kann ich es mir nicht mehr leisten, nicht ausreichend informiert zu sein. Es ist auch nicht mehr möglich, keine Haltung einzunehmen, keine Stellung zu beziehen. Denn mit der Geburt seines Kindes wird man gezwungen, über die eigene Existenz hinaus zu denken. Die Entscheidungen, die ich heute treffe, treffe ich nicht mehr nur für mich allein.
Die Welt dreht sich, so lese ich aus der Flut an Nachrichten heraus, immer noch.
Und das muss mir für heute einfach mal reichen.