Glück gehabt

Auf den letzten Metern, drei Wochen, nachdem die neue Teststrategie die Schulen ins totale Chaos gestürzt hat, bekamen nun auch wir keinen Monat vor dem vielbeschworenen Freedom-Day doch noch Covid. Den Anfang machte der Chaosprinz mit Fieber und Übelkeit, aber die Schnelltests waren alle negativ. Das sind sie auch geblieben, was viel über ihre Verlässlichkeit aussagt. Dann begann ich zu fiebern und zu husten. Eine Woche nach dem ersten Fieber war mein Test zum ersten Mal positiv.

Zwei Tage lang ging es uns so beschissen, dass wir nicht aufstehen konnten. Im Fieber erfand ich das Wort „Einzeilerkopfschmerzen“ und tatsächlich ergab das einen Sinn für mich. Denn vor meinem inneren Auge zogen sie vorbei wie ein endloses Textband, diese Kopfschmerzen, die keinen Moment lang nachließen, keine Pause zum Durchatmen gönnten.

Seitdem ist es zumindest nicht schlechter geworden und so hängen wir hier nun rum, gehen uns gegenseitig auf den Keks, leeren die Vorratskammern bis auf den letzten Krümel und haben bald keine Taschentücher mehr. Der Hund ist ungehalten, weil längere Spaziergänge nicht drin sind, der Kater hat keinen Bock auf unsere Quarantäne und ist temporär ausgezogen. Der Chaosprinz sitzt gelangweilt vor dem Bildschirm und starrt in eine Ecke seines Klassenraums, während er nur halb mitbekommt, was seine Lehrerin da unterrichtet.

Seit Tagen habe ich nun die Wände des Wohnzimmers angestarrt, weil zu allem die Lust fehlte. Die ganze Nouvelle Vague habe ich in der Zeit über diese Wände laufen lassen. Ich hörte Chansons in weiter Ferne, die sich mit dem Heulen des Windes zur schönsten Filmmusik verbanden. Meine Fantasie schlug die wildesten Haken vom einen Ende des Universums zum anderen. In der Mitte steht ein Sofa, auf dem ich liege, und mir ist kalt, weil die Decke nicht wärmt.

Fragt man danach, was Glück ist, so gibt es so viele Antworten wie Menschen. Die meisten definieren ihr Glück wohl über die Liebe, die Familie oder besondere Menschen. Manche empfinden Glück bei einem tollen Urlaub, einem schönen Event oder einem kostbaren Augenblick. Und wieder andere definieren es über einen unvorhergesehenen Gewinn, eine Steuerrückzahlung oder ein Geschenk.

Mein Glück scheint immer in der Vermeidung einer totalen Vollkatastrophe zu liegen.
Schwer vorerkrankt bin ich genau diejenige, die vor einer Infektion hätte geschützt werden sollen.
Weil ich einen schwereren Verlauf zu erwarten gehabt hätte. (Was ist das? Plusquamperfekt Konjunktiv II?)
Weshalb ich zwei Jahre lang nicht aus dem Haus gegangen bin.
Um jetzt keinen schweren Verlauf zu haben.
Glück gehabt.

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Ein Kommentar

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Eine Antwort zu “Glück gehabt

  1. Das tut mir so leid. Hoffentlich geht es euch bald besser!

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