Snezana

Auf dem Weg zum Strand, kurz bevor es zum Meer heruntergeht, gibt es eine unbefestigte Stelle. Ganz steil geht es dort hinab, aus den Karstspalten wächst wilder Dill und leuchtend gelbe Strohblumen. Wenn man zu nah an den Rand geht, kann man leicht abrutschen und fällt dann in den scharfen Stein.
Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich diesen Abgrund vor mir. Meine nackten Füße sind von der Erde ganz rot. Mit der Leichtigkeit eines Inselkindes springe ich über den Karst auf das Meer zu, ein kleines, weißes Handtuch über der Schulter. Es ist ein heißer Nachmittag, das warme Wasser ist von einem tiefen Blau.

Es ist die große Zeit des kleinen Sterbens. Den ganzen Tag lang tobt der Sturm, riss das Vogelhäuschen und die Gartenmöbel um und wehte eine Auflage vom Nachbarn herüber. Ganz frühe Bilder von einem warmen Nachmittag am Rhein, zwischen zwei Spielplätzen im frisch gemähten Gras flechte ich Kränze aus Gänseblümchen. Ein paar Jahre später nur einige Meter weiter spielte A. für mich auf der Gitarre „A horse with no name“ und ich verliebte mich in diese Nacht, in den Song und ein kleines bisschen auch in ihn, auch wenn ich es ihm nie gesagt habe.

Sie starb, wie sie gelebt hatte. In irgend einem verschissenen Metallbett mit durchgelegener Matratze, auf der schon so viele gestorben waren. Im Augenblick ihres Todes noch träumte sie von Paris und dem Eiffelturm. Von schmalen Gassen mit Kopfsteinpflaster und einem winzigen Weinlokal, in dem sie Chansons spielen und Käse zu frischem Baguette servieren. Vielleicht dachte sie an den Herbst 1982, in dem sie Paris so nah gekommen war wie nie zuvor und niemals danach. Doch dann wurde ihr Mann plötzlich krank und sie mussten ihre Reise verschieben.

Das Leben baut sich auf und wieder ab. Die Straßen werden mit den Jahren breiter, die Wege nach Hause immer länger. Nichts davon hat Bestand, nichts davon. Was wir einmal wussten, haben wir längst vergessen, nur manche Kleinigkeit bleibt auf ewig hängen. Große Pläne und persönliche Momente des Glücks. Sie hat ihre Fußabdrücke über die Erde verteilt, als hätte es sie nie gegeben. Und mehr ist dazu nicht zu sagen.

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