In meinem Kopf ist es meistens furchtbar laut. Sätze, Fragmente, Gedanken denken sich wirr durcheinander. Worte, Satzfragmente, ganze Absätze werfen Ideen für Textbrocken in den Raum und verknüpfen sich dort mit älteren zu neuen Matrizen. Ein permanenter Geräuschvorhang entsteht. Aus dem weiten Meer gesprochener Sprache fische ich meine eigene, und wenn ich sie finde, schleife ich sie geduldig zu Edelsteinen, bevor ich sie wieder ins Meer zurückwerfe. Von Zeit zu Zeit halte ich erschrocken inne, schaue auf und horche, ob man draußen etwas davon hören kann.
Ich wäre gerne Musikerin geworden.
Obwohl ich Worte liebe und Sätze zu meinen Spielplätzen mache, befällt mich manchmal das Verlangen nach einem anderen Geräusch. Mit der Leichtigkeit eines Schmetterlings, völlig unabsichtlich. Wäre ich Musikerin geworden, würde ich jetzt Klänge in meinem Kopf hören. Aber es gibt eben diese eine Sehnsucht, die nie nachlässt. Meine Faszination für Sprache bringt mich dazu, mir Notizbücher zu kaufen. Wochenlang gehe ich am Klavier vorbei direkt zum Schreibtisch, bis irgend etwas in mir mich vor die Tasten setzen lässt. Die Finger ungelenk probiere ich ein paar Etüden, an die ich mich noch erinnern kann. Es klingt nicht gut.
Ich wäre auch gerne in Frankreich geboren worden, denn ich bereue es, nie Französisch gelernt zu haben. In der Schule entschied meine Mutter für Latein. Es war keine schlechte Wahl, non possum queri, aber die coolen Kids waren alle in Französisch. Sie lernten das art de vivre und wir die Grundlagen gallischer Kriegsführung.
Als Teenager entdeckte ich Jaques Brel, Charlez Aznavour, Gilbert Becaud im Plattenschrank meiner Eltern. Es war die Zeit, in der jede Liebe die große war, und Französisch klingt nach salziger Luft in dunklen Sommernächten. Für manche Dinge wird es im Leben aber doch zu spät, zum Beispiel für eine gute französische Aussprache. Wäre ich in Frankreich geboren worden, würde ich meinen Gedanken jetzt auf Französisch folgen. Schmetterlingsleicht.
Ich gebe das Klavierspielen für heute auf und kehre wehmütig zur Sprache zurück.
Zum kantig eckigen Deutsch, das bearbeitet und geschliffen werden will, damit sein Klang zu meinem Leben passt. Bevor ich sie wieder ins Meer der gesprochenen Sprache zurückwerfe.