Monatsarchiv: März 2022

Obertöne

In meinem Kopf ist es meistens furchtbar laut. Sätze, Fragmente, Gedanken denken sich wirr durcheinander. Worte, Satzfragmente, ganze Absätze werfen Ideen für Textbrocken in den Raum und verknüpfen sich dort mit älteren zu neuen Matrizen. Ein permanenter Geräuschvorhang entsteht. Aus dem weiten Meer gesprochener Sprache fische ich meine eigene, und wenn ich sie finde, schleife ich sie geduldig zu Edelsteinen, bevor ich sie wieder ins Meer zurückwerfe. Von Zeit zu Zeit halte ich erschrocken inne, schaue auf und horche, ob man draußen etwas davon hören kann.

Ich wäre gerne Musikerin geworden.
Obwohl ich Worte liebe und Sätze zu meinen Spielplätzen mache, befällt mich manchmal das Verlangen nach einem anderen Geräusch. Mit der Leichtigkeit eines Schmetterlings, völlig unabsichtlich. Wäre ich Musikerin geworden, würde ich jetzt Klänge in meinem Kopf hören. Aber es gibt eben diese eine Sehnsucht, die nie nachlässt. Meine Faszination für Sprache bringt mich dazu, mir Notizbücher zu kaufen. Wochenlang gehe ich am Klavier vorbei direkt zum Schreibtisch, bis irgend etwas in mir mich vor die Tasten setzen lässt. Die Finger ungelenk probiere ich ein paar Etüden, an die ich mich noch erinnern kann. Es klingt nicht gut.

Ich wäre auch gerne in Frankreich geboren worden, denn ich bereue es, nie Französisch gelernt zu haben. In der Schule entschied meine Mutter für Latein. Es war keine schlechte Wahl, non possum queri, aber die coolen Kids waren alle in Französisch. Sie lernten das art de vivre und wir die Grundlagen gallischer Kriegsführung.
Als Teenager entdeckte ich Jaques Brel, Charlez Aznavour, Gilbert Becaud im Plattenschrank meiner Eltern. Es war die Zeit, in der jede Liebe die große war, und Französisch klingt nach salziger Luft in dunklen Sommernächten. Für manche Dinge wird es im Leben aber doch zu spät, zum Beispiel für eine gute französische Aussprache. Wäre ich in Frankreich geboren worden, würde ich meinen Gedanken jetzt auf Französisch folgen. Schmetterlingsleicht.

Ich gebe das Klavierspielen für heute auf und kehre wehmütig zur Sprache zurück.
Zum kantig eckigen Deutsch, das bearbeitet und geschliffen werden will, damit sein Klang zu meinem Leben passt. Bevor ich sie wieder ins Meer der gesprochenen Sprache zurückwerfe.

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Sprachlos

Von Zeit zu Zeit, schreibt sie, befällt mich diese Sprachlosigkeit. Das Ringen um Worte, wo keine mehr sind, die auch nur annähernd beschreiben könnten, was gerade ist. Ich schreibe, ich lösche, ich schreibe, ich lösche, schreibe, lösche, schreibe, lösche. Am Ende bleibt der Bildschirm weiß. Sprachlos ergebe ich mich der Wortlosigkeit in mir. Ich wende mich an mein Selbst und beginne engagiert zu diskutieren. Über Sprache, über Worte. Darüber, was reichen würde und wie unzureichend ich meine Mitarbeit in diesem Fall gerade empfinde. Ich jammere über einzelne Satzglieder, stockende Sprachfetzen, setze Adjektive zusammen und nehme sie wieder auseinander. Mein Gegenüber verhandelt unerbittlich und unnachgiebig. Keine Sprache, es tut mir leid. Am Ende bitte ich um Buchstaben. Ich bekomme vier.

Dabei ist Sprache so selbstverständlich. So eigenmächtig, so autonom manchmal, aber immer vorhanden. Wie leicht sie uns über die Lippen kommt, wie schnell ist etwas gesagt, man muss es nicht einmal meinen. Im täglichen Sprachgebrauch denken wir nicht lange darüber nach, was wir sagen, es passiert oft ganz unabsichtlich. Ich versuche, meine Sprachlosigkeit durch Belanglosigkeit zu überwinden: das ist ein Stuhl. Er steht hier seit über 30 Jahren. Davor stand er in einem anderen Haushalt. Und davor vermutlich in noch einem. Dieser Stuhl hat viele Ärsche gesehen. Ich gebe nichts drauf, ob das jemand versteht; ich kämpfe auf einem viel weiteren Feld als nur auf dem der gesellschaftlichen Akzeptanz.

Wenn das Meer in uns zufriert, dass selbst eine Axt das Eis nicht mehr zerschlagen und sich die Kälte deshalb mitleidlos ausbreiten kann, dann bleibt nur Schweigen. Dann fordert die Sprachlosigkeit in uns ein Gespräch mit uns selbst. Seit Platon nennen wir das Gespräch zwischen uns und uns selbst denken. Es findet in einem Raum statt, der unzugänglich ist für gesellschaftliche Moral und frei von erlernten Werten. Hannah Arendt sieht das Denken als einzigen Zugang zur eigenen Integrität, zu dem sicheren Gefühl darüber, was richtig ist und was falsch. Die nur in der Einsamkeit funktionierende Vernunft, abseits vom kategorischen Imperativ, den letztlich die Sprache abzubilden sucht.

Nimm dir die Zeit, sage ich, weil es nichts anderes dazu zu sagen gibt. Die Menschwerdung in mir, denke ich nach Buber, geht daran zugrunde, dass mir der Alltag immer weniger Zeit zum denken lässt. Die wenige, die mir bleibt, verbringe ich immer seltener im Dialog mit mir selbst. Ich höre Musik, lese ein Buch, scrolle über Facebook und schreibe marginalisierte Miniaturen in meinen Blog. Eigentlich, denke ich, tue ich oft alles andere, nur um das Gespräch mit mir selbst zu vermeiden. Vielleicht, denke ich, habe ich Angst davor zu hören, was ich mir zu sagen hätte.

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schhht…

Draußen wird es heller und wärmer und die ersten Nachbarn haben am Wochenende schon ihre Rasen gemäht. Durch die Fenster kann ich sehen, wie das Gras saftiger und grüner wird, und fühle die Erinnerung an Grashalme unter meinen nackten Füßen. Die Sonne scheint jetzt fast den ganzen Tag ins Zimmer und heizt es auf. Meine Strickjacke brauche ich bald nicht mehr.

Zu einer für sie unüblichen Zeit ruft meine Schwester an. Es ist niemand gestorben, sagt sie, ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.

Auf diese Frage sollte man antworten können. Manchmal mit einer Floskel, weil die Wahrheit unpassend wäre. Manchmal abwiegelnd – so halb gelogen- damit man keine schlechte Laune verbreitet. Und manchmal kann man auch ruhig weinen, bei einem Glas Rotwein im Halbdunkel. Jedenfalls sollte man sie beantworten können.

Das kann ich aber nicht. Seit einigen Tagen ist alles verschwunden. Als habe jemand den Schwamm genommen und die Tafel leergewischt. Ich finde nichts mehr in mir. Da ist eine Erinnerung an die Gefühle und Gedanken, aber es ist nur eine zarte Spur. Ein leiser Hauch davon, wie ein sich rasch verflüchtigender Duft, der die Erinnerung weiterträgt, noch bevor man sie klar zu fassen kriegt.

Als gäbe es mich nicht. Als hätte ich mich vor Jahren schon aufgelöst und es nur nicht gemerkt. Als sei ich schon lange im Meer der kollektiven Belanglosigkeiten ersoffen und zwischen Kunst und Krempel hängen geblieben wie eine alte Porzellanpuppe, deren Arm angeschlagen ist und die man längst weggeworfen hätte, hätte Oma nicht so sehr an ihr gehangen.

Also schweige ich und meine Schwester erzählt: von einer bevorstehenden Hochzeit, zu der sie fliegen möchte nach Amerika. Wer dort wen heiratet. Und warum. Als würde die Liebe nicht mehr reichen. Mein Blick fängt die Scheinwerferstrahlen des Nachbarn von gegenüber auf, der gerade einparkt. Der Hund bellt, das macht ihn wahnsinnig. Und weil ich immer noch schweige, erzählt meine Schwester weiter: bei wem sie wohnen wird und in welchem Stadtteil die Wohnung liegt in Amerika. Was sie sich zur Hochzeit anzieht. Und warum. Als würde mich das interessieren.

Die Porzellanpuppe hieß Maia. Sie war über hundertfünfzig Jahre alt, konnte ihre Glieder bewegen und hatte echtes, menschliches Haar. Sie stand lange Jahre eingestaubt im Keller und sah mich vorwurfsvoll an, wenn ich Kartoffeln holte. Bis irgendwann einmal auf irgendeinem Flohmarkt irgendein Händler glaubte, ihren Wert erkannt zu haben, und sie einfach mitnahm. Als hätte es sie nie gegeben.

Ich habe dich nie gefragt, unterbreche ich meine Schwester im Satz, warum du damals, als die Bombardierung Serbiens begann, nicht in Italien geblieben bist. Weshalb hast du verzweifelt eine Route gesucht, um irgendwie nach Belgrad zu kommen, während alle anderen verzweifelt versuchten, es irgendwie zu verlassen?

Es war mein Zuhause, sagt meine Schwester, meine Familie und meine Freunde. Meine Arbeit und meine Stadt. Ich bin zwischen ihren Hochhausblocks aufgewachsen, habe in ihren Parks gespielt und bin durch ihre Straßen zur Schule gelaufen. In ihren Clubs habe ich bis zum Sonnenaufgang getanzt und an ihren Flussufern meinen ersten Kuss bekommen.

Eine Stadt am Ende des 20. Jahrhunderts. Es ist ein warmer Tag im April. Aus dem Sprung im Asphalt blüht ein einzelner Löwenzahn. Eine Frau mit einem zotteligen Hund an der Leine bemerkt nicht, wie die Schatten der Blätter an den Bäumen ihr Muster auf den Hals zeichnen, während sie geht. Ein Mann in einem langen, hellen Mantel und einer Aktentasche, den Hut zum Schutz vor den vorbeifahrenden Autos tief in die Stirn gezogen, eilt mit einem eleganten Hüpfer über die Straße. Eine Schar gesichtsloser Kinder läuft lärmend vom Französischunterricht nach Hause, verschwitzt und derangiert vom angestrengten Lernen. In jeder Straße wiederholen sich die Geschichten, unbemerkt von uns. Aber irgendwo freut sich gerade einer über seinen Gewinn, während ein anderer um seinen Verlust weint.

Heute, sagt meine Schwester, ist Belgrad nicht mehr so wie es einmal war. Du würdest es kaum wiedererkennen. Die Stadt hat sich seit dem Krieg verändert.
Fast so, als hätte es sie nie gegeben.

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Frühjahr

Die Zeit zieht weiter, die Karnevalswoche ist vorbei, die Schule hat wieder begonnen. Die Sonne geht morgens auf und abends wieder unter, nur der Mond lässt sich seit einigen Tagen nicht mehr blicken. Mir fehlen immer noch die Worte, die richtigen, solche, die ins Schwarze treffen würden. Die sind auch wirklich selten, ich suche schon mein halbes Leben danach.

Viele Dinge lassen sich einfach nicht ausreichend beschreiben. Da werden die Grenzen der weiten Sprache plötzlich eng und lassen keinen Raum zum atmen. Oder die Sprache hat einfach ihre Grenzen erreicht, darüber kann man nicht mehr, dahinter ist das blaue Nichts. Als würde die Welt enden, bevor wir einen Plan für eine neue haben.

Gestern im Sachkundeunterricht sagte die Lehrerin, in Russland würden die Medien nicht die Wahrheit berichten. „Woher sollen wir denn wissen, dass das nicht in Deutschland ganz genauso ist?“ fragt der Chaosprinz mich hinterher. Ich beginne, ihm etwas über Pressefreiheit und guten Journalismus zu erzählen, muss aber schließlich zugeben, dass er Recht hat. Wir können es nicht wissen, wir können lediglich darauf vertrauen.

Irgendwie scheint jede Jahreszeit ihre eigene Müdigkeit zu haben, und so bin ich derzeit frühjahrsmüde. So schlimm war es irgendwie noch nie, sage ich zur Suppenfreundin. Du warst auch noch nie fünfzig, antwortet sie. Wie logisch das bei ihr immer alles klingt. Für heute habe ich nichts nachzujagen, ich muss keine Worte mehr suchen, ich werde sie heute ohnehin nicht finden. Für heute habe ich entschieden, den Tag zu beenden, den Sonnenuntergang zu erzwingen, auch wenn es draußen erst langsam dämmert. Alles weitere verschiebe ich dann auf morgen. Wie immer, wenn ich mit dem Tag nicht fertig werde.

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