Über die Tage habe ich immer wieder am Laptop gesessen und getippt. Ich wollte einen bedeutsamen Blogeintrag schreiben, jetzt sind etwa sechs Entwürfe in den virtuellen Papierkorb geflogen. Denn irgendwie komme ich in keinem so richtig zum Punkt. Und bedeutsam ist das alles ohnehin nur für mich.
Kriegst du eigentlich Geld dafür, fragt der Chaosprinz, oder machst du das einfach so?
Ich versuche zu erklären: Für mich ist es ein Hobby, sage ich, es gibt aber auch Menschen, die damit ihr Geld verdienen. Die schreiben dann für Zeitungen oder Magazine oder auch Bücher.
Und wie viel verdient man so damit?, fragt er weiter.
Das wird meist pro Wort bezahlt, sage ich, aber viel ist es nicht.
Und wenn alle Wörter richtig geschrieben sind?, fragt er.
Man muss in einem Blog auch nicht unbedingt zum Punkt kommen. Meiner ist da eher ein Sammelbecken für Gedanken und Gefühle, ein Tagebuch des Alltags, ein unvollendetes Manifest meines Daseins. Dabei erklärt es mir oft etwas, was ich schon längst über mich wusste, aber noch nie in Worte gefasst hatte. Das macht es vielleicht aus, sich immer wieder aufs Neue vor die leere Blogmaske zu setzen und von den eigenen Gedanken überraschen zu lassen. Eine Nachlese alter Blogeinträge mache ich aus Zeitgründen viel zu selten. Ich wäre sicher noch überraschter, was ich vor einigen Jahren noch so alles gedacht habe.
Beim Lesen in Nachbarblogs stolpere ich über die Manifeste anderer Leben, manchmal ganz nah dran, manchmal lieber in angemessenem Abstand. Viele Anregungen, die mich fragen, wie ich das sehe. Meine Meinung drängt sich mir geradezu auf, dagegen kann ich nichts machen, ich bilde mir meistens ganz automatisch eine Meinung, selbst zu Angelegenheiten, zu denen ich eigentlich nichts zu sagen hätten. Dabei sind es selten die ganz großen Themen, sondern mehr die kleinen Gedanken dazu, solche, die ich selbst gern in Nebensätzen verstecke. Andere schreiben sie in Hauptsätzen und manchmal finde ich das in seiner unmaskierten Ehrlichkeit fast schon obszön. Oft bin ich voller Bewunderung, fast schon neidisch, denn laute Hauptsätze kann ich nicht.
Eine starke Geschichte braucht eine starke Sprache, denke ich dann manchmal. Klare Worte in Hauptsätzen ohne Nebensatz. Keine Ablenkung vom Wesentlichen, keine Andeutungen, denn die sind viel zu schwer zu verstehen. Nur so, denke ich, kommt die Botschaft klar an, auch wenn sie schon hundertmal gehört wurde, ein hunderterstes Mal erreichst du nur, wenn du den Empfänger förmlich anschreist. Starke Hauptsätze benennen die großen Gefühle, plakative Metaphern fügen sich zur wortgewaltigen Collage, und dann erscheint eine bekannte Geschichte in neuem Licht. Und erfährt Wahrnehmung. Soweit die Theorie.
Gibt es denn eigentlich irgend etwas, was noch nicht gedacht wurde? fragt der Chaosprinz heute am Frühstückstisch. Es gibt uns jetzt über 5000 Jahre und alles, was ich mir ausdenke, das wurde schon mal gedacht. Frustriert bleibt er unter diesem Gedanken hocken. Der Chaosprinz ist ein Künstler in großen Gedanken. Unablässig durchkämmt seine Inspiration das weite Feld der Ausdrucksmöglichkeiten. Er bringt seine Sicht auf die Welt mit einer Leichtigkeit ins Leben, die mich manchmal denken lässt, ich müsse das doch irgendwie fördern. Dabei ist für ihn und seine Generation alles noch so neu. Wie ein Schwamm nimmt er die Welt auf, verwertet das Erleben und spuckt es dann in hohem Bogen freudig in die Luft. Der Chaosprinz hört sich in Filmen und Büchern mit Begeisterung Geschichten über die großen Themen unseres Daseins an und erzählt mir dann, was er darüber erfahren hat, während ich die Mythen des Lebens meist gähnend mit dem Finger fortwische. In ungezählten Variationen zu oft gehört. Irgendwann mit zunehmendem Alter kann mich da einfach nichts mehr überraschen.
Braucht eine starke Geschichte wirklich laute Hauptsätze? Muss alles, was zur Kunst wird, auch verstanden werden? Irgendwo las ich kürzlich, dass Kunst heute versucht, die Perzeption ihres Betrachters zu antizipieren und sich bei diesem Versuch an der Mainstreammasse orientiert. Will man seine Kunst verkaufen, setzt man lieber auf Sicherheit, und damit stellt sich nicht mehr die Frage, wie das Kunstwerk als solches angenommen und nach welchen Kriterien es betrachtet werden sollte, sondern vielmehr, nach welchen es betrachtet werden könnte. Damit büßt die Kunst als solche einen Großteil ihrer Fähigkeiten ein – zugunsten des vermeintlichen Tugendterrors einer politisch korrekten Gesellschaft. Das ist furchtbar traurig und erschreckend zugleich, verhält es sich mit der Kunst also heute wie im Medianwählertheorem, um einer möglichen öffentlichen Ächtung zu entgehen.
Um es auf den Punkt zu bringen, obwohl ich nach wie vor finde, ich müsse hier gar nichts auf den Punkt bringen: Für Kunst braucht es manchmal eine Menge Mut und Großes entsteht dabei ganz zufällig. Oft aus Nebensätzen, einem Versuch, den man wieder ausradiert, weil er dem eigenen Anspruch nicht genügt. Der Chaosprinz macht sich keine Gedanken darüber, wie seine Kunst erfahren wird. Er schafft sein Werk ganz unabhängig von einem Blick auf den Betrachter aus den Augen eines Kindes, das sich völlig frei von gesellschaftlichen Konventionen oder Verkaufsmöglichkeiten über das Leben wundert, in dem es gelandet ist. Daraus entsteht ein Kunstwerk, das einen Blick aus seinen Augen erlaubt, auf eine Welt, von der man geglaubt hatte, sie könne einen mit gar nichts mehr überraschen.