Der Samstagmorgen hat seine ganz eigene Qualität. Aus der Woche heraus, aus fünf Tagen frühem Aufstehen, Morgenhetze, Hausaufgabenstress und Arbeitsvorbereitungen stolpere ich in einen freien Tag, als hätte ich ihn nicht erwartet. Heute wäre ein Ausschlafen zwar möglich, aber spätestens um halb Acht wirft der Biorhythmus uns kollektiv den Motor an. Gewohntermaßen ist der Dischingis Khan des Nordens schon am Freitag Nachmittag im Schachtelhaus angekommen und hat sich im Kinderzimmer beim Chaosprinzen eingerichtet. Die beiden Jungs haben an Wochenenden viel vor und wir Erwachsenen würden mit unseren eigenen Plänen nur stören. Wir beschränken uns an Wochenenden also darauf, sie nicht völlig verdrecken oder verhungern zu lassen, und ziehen die Notbremse, wenn mal wieder zu viel Bildschirmzeit und zu wenig Frischluft drohen. Irgendwo dazwischen werden die Hausaufgaben gefertigt, denn diese Pflicht muss auch am Wochenende sein.
Heute Morgen geselle ich mich bei einer Tasse Billigkaffee zur Suppenfreundin ins Separee. Dort bleiben wir, bis ihr Magen die Jungs daran erinnert, dass sie etwas zu essen brauchen. Im Separee wälzen wir die Woche, bis sie so flach wird wie ein Pizzateig. All die unausgesprochenen Dinge, zu denen man im Alltag nicht kommt, finden Samstag morgens ihren Platz. Das kann manchmal richtig umfangreich sein, denn meistens wechseln wir schnell von der Woche aufs Stöckchen.
Gestern hat der Chaosprinz eine Installation für seine momentane Lieblingskünstlerin gebastelt. Durch Zufall stellte sich heraus, dass meine Schwester sie persönlich kennt, und ich bat sie, ein Foto des Werks an sie weiterzuleiten. Sie zeigte sich begeistert und kurze Zeit später fand das Foto sich auf ihrer Website wieder. Der Chaosprinz freute sich grenzenlos darüber und mit ihm natürlich auch wir.
Es dauerte nicht lange, da hatten auch andere Verwandte das Bild gesehen und gratulierten dem Chaosprinzen zu seinem Erfolg. Viele Telefonate also gestern, die dem Chaosprinzen galten, die dann aber früher oder später doch von mir geführt wurden. Man gratulierte mir zum kreativen Kind, während dieses im Garten ausprobierte, ob es wohl zweckmäßig sei, verblühte Löwenzahnblüten in den Mund zu stecken, bevor man pustet, und dabei selbstredend einen heftigen Hustenanfall bekam.
Ein kreatives Kind kann furchtbar anstrengend sein. Getrieben von einer Mischung aus natürlicher Neugierde und dem konsequenten Leugnen universeller Gesetzmäßigkeiten probiert es sich bis an die Grenzen aus, sucht nach Antworten auf Fragen, die so fantastisch sind, dass man sie überhaupt nicht erst stellen würde, und setzt die außergewöhnlichsten Gedanken mit der unerschöpflichen Energie, die nur Kindern zur Verfügung steht, ohne eingehende Planung in die widersinnigste Tat um. Ein kreatives Kind ist die größte Herausforderung für seine Eltern.
Vor etlichen Jahren, als im Siebengebirge ausnahmsweise einmal Schnee gefallen und liegengeblieben war und ich noch zum Spazierengehen hinausging, lief ich einmal auf einem Feld hinter dem Haus dem kleinen Chaosprinzen nach und versuchte, ihn davon abzuhalten, sich Händeweise Schnee in den Mund zu stecken. Eine ältere Dame, die mit ihrem Jack Russel an der Leine spazieren ging, berührte mich sanft am Arm, so dass ich erstaunt herumfuhr. Sagen Sie, fragte sie mich, wissen Sie eigentlich, wie frisch gefallener Schnee schmeckt? Ich suchte kurz in meinen Erinnerungen und nickte dann mit unverhohlenem Unverständnis im Blick. Und jetzt, sagte die Dame, überlegen Sie mal, woher Sie das wissen.
Es ist wunderbar, ein kreatives Kind zu haben. Die meisten Kinder haben ihre Kreativität zu diesem Zeitpunkt nämlich bereits im Kindergarten zugunsten von erwünschtem, weil leicht zu lenkendem Verhalten eingebüßt. Was man alles tut und vor allem, was man auf gar keinen Fall tun darf, weil es ein endloses Chaos verursachen könnte, das für Erwachsene dann wieder in endloser Arbeit mündet, wird von Kindern früh erlernt. Als der Chaosprinz zu essen begann, haben wir auf das Füttern vollständig verzichtet. Nach den ersten Versuchen, bei denen die Küche einer unvorstellbaren Essensschlacht zum Opfer gefallen war und wir den Brei aus allen Ritzen und Ecken kratzen mussten, setzten wir den Chaosprinzen fortan zum Essen nackt bis auf die Windel in ein aufgeblasenes Planschbecken, das wir hinterher im Garten einfach mit dem Schlauch abspritzen konnten. Später im Kindergarten erhielt er dann von der Kindergärtnerin den ersten Preis für die besten Tischmanieren.
Seltsam, wie wenig wir von den Reglementierungen, die wir unseren Kindern bedenkenlos auferlegen, für uns selbst akzeptieren würden. Unseren Kindern muten wir zu, vielmehr erwarten wir sogar freimütig von ihnen, sich an die von uns aufgestellten Regeln zu halten, die manchmal nicht einmal wir, geschweige denn sie überhaupt kognitiv erklären können. Soziale Akzeptanz ist keine Rechtfertigung für geistlose Regeln. Diese Haltung macht mich jetzt bei weitem nicht so entschieden zu einem Gegner des Behaviorismus, wie es eventuell klingen mag. Vielmehr bin ich sehr wohl zu überzeugen von operanter Konditionierung, wenn die Mittel zum Zweck in ihrer Wahl frei bleiben dürfen.
Der Dame mit dem Jack Russel im Schnee bin ich meinen Dank bis heute schuldig geblieben, denn ich habe sie nie wieder gesehen. Damals habe ich viel von dem losgelassen, von dem ich glaubte, es unbedingt durchsetzen zu müssen, und der Chaosprinz erhielt seinen hier verwendeten Spitznamen.
Denn er ist tatsächlich der Prinz seiner eigenen chaotischen, kosmischen Ordnung. Er sucht sich seinen Weg durch den Schneesturm seiner Zukunft. Sein kreatives Denken ist dabei das göttliche Geschenk, das uns zum Zeitpunkt unserer Geburt allen gemacht wird, und das es von uns Erwachsenen für unsere Kinder zu verteidigen gilt, jenseits gesetzter Konventionen einer Gesellschaft, die im ewigen Wandel der Zeiten ohnehin nicht mit Bestimmtheit sagen kann, wohin sie sich bewegt.
ja, lassen wir den kindern freiraum, lassen wir sie selbst entscheidungen treffen, je nach alter mit entsprechender information. es gibt sehr wenig dinge, die unverzichtbar gefordert werden sollten von kindern. und diese gelten auch nicht nur für sie, sondern für alle. einen guten start in die neue woche wünscht roswitha (weggefaehrtin.blogspot.com)
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