Monatsarchiv: Juli 2022

Regretting Motherhood

Stell dir vor, du hättest keine Kinder, sagt sie, wofür würdest du dann leben wollen?

Ich bemühe mich sehr, mir das vorzustellen, aber der kleine Rotschopf neben mir im Bett des Ferienhauses schläft heute Nacht unruhig. Wälzt sich, drückt die Matratzen auseinander, schlägt mit den Händen in mein Gesicht und tritt mir in die Bandscheiben.

Stell dir vor, du hättest kein Kind. Unvorstellbar, wie viel zusätzliche Zeit ich dann hätte, nur womit würde ich sie füllen wollen?

Gestern Abend in der Badewanne sieben Tage Feriendreck abgewaschen. Er lacht, als ich versuche, den Schmutz von seinen Fußsohlen zu kratzen, es kitzelt. Frisch gebadet ins gemachte Bett. Um drei Uhr dann Pipialarm. Im fremden Haus lässt die Toilette sich nicht ohne Mama finden.

Seitdem liege ich wach und starre abwechselnd auf Möbel aus den frühen Achzigern und zufällige Artikel auf der Facebook Seite.

Regretting motherhood ist das Schlagwort, das seit einigen Jahren die Runde in den sozialen Medien macht. Dabei geht es nicht um das Kind, betonen betroffene Mütter. Das Kind liebt man, das richtet die Natur ganz automatisch so ein, es ist wohl mehr die Mutterrolle, die nicht so recht passen will.

Ich fühle mich furchtbar egoistisch. Denn bevor ich mir mein Kind gewünscht habe, habe ich mir gewünscht, Mutter zu sein. Es war eine Lifestyleentscheidung, könnte man sagen. Ich sah mich Betten machen und Butterbrote schmieren, Dreck abkratzen und Geschichten vorlesen. Ich stellte mir vor, wie es sein würde, Rotznasen zu putzen und Apfelstücke zu schneiden. Letzteres habe ich sogar geübt, damit die Stücke auch mundgerecht werden.

Viele Dinge in meinem Leben haben erst einen Sinn ergeben, als ich Mutter wurde. Ich durfte ungehemmt Lego kaufen, alte Kinderbuchklassiker nochmal lesen und um halb neun Uhr abends erschöpft neben ihm einschlafen. Ich durfte die Grundrechenarten neu lernen und Wissenslücken in Sachkunde auffüllen. Endlich lohnt es sich, Mittagessen zu kochen und Kuchen zu backen, sich im Elternbeirat zu engagieren und eine Meinung zum Umweltschutz zu haben.

Der Wertereset im Moment der Geburt eines Kindes ist erstaunlich, plötzlich wird man zum Vorbild, mal schnell bei Rot über die Straße huschen, ist dann nicht mehr drin. Das macht einen zu einer besseren Version von sich selbst.

Stell dir vor, sagt sie, aber ich will mir das gar nicht vorstellen, ich wollte ganz unbedingt eine Mutter sein. Dass das Kind, das ich bekommen habe, so großartig sein würde, so inspirierend, immer überraschend und ständig voller verrückter Ideen, das ist eine Zugabe, mit der ich gar nicht gerechnet hatte.

Es ist wundervoll, eine Mutter zu sein, ganz genauso großartig hatte ich es mir vorgestellt. Aber die größte Freude ist es, seine Mutter zu sein.

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