Monatsarchiv: Oktober 2022

Mein geliebtes Kind,

zu deinem heutigen Geburtstag möchte deine Mutter dir sagen, wie unglaublich stolz sie auf dich ist. Wie dankbar und gesegnet sie sich fühlt, dich ihren Sohn zu nennen. Wie außergewöhnlich und besonders du jeden Augenblick ihres Lebens machst. Und wie glücklich sie ist, wenn sie in deine Augen sieht.

Mein wundervoller Sohn, zu deinem heutigen Geburtstag richtet deine Mutter sich für dich zu ihrer vollen Größe auf – im Rheinland sagen wir: sie macht sich grad!-, bereit, für deine glückliche Zukunft bis vor den Obersten aller Götter zu ziehen. Wer jetzt noch glaubt, du seist leichte Beute, nur weil du noch ein Kind bist, der hat die Löwin in deinem Rücken noch nicht gesehen.

Zu deinem Geburtstag, lieber Chaosprinz, schenke ich dir meine Kraft und all meinen Mut, mein Wissen und meine über Jahrzehnte erworbene Weisheit. Ich schenke dir jedes meiner je geschriebenen Worte und all meine klugen Gedanken. Ich schenke dir all meine Fürsorge und meine Liebe. Für immer.

Es ist mir eine riesige Freude, ein größtes Glück und die höchste Ehre, deine Mutter zu sein.

Ich liebe dich!

Mama

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Kakao zum Frühstück

Wenn der Morgen kommt, kurz bevor der Wecker klingelt, weckt mich mein eigener Biorhythmus. Freundlich flüstert er mir leise ein, dass es jetzt Zeit zum Aufwachen wird. Denn gleich ertönt der Alarm. Und damit ich mich nicht erschrecke, lässt meine autonome Intelligenz mich kurz vorher sanft aufwachen. In den wenigen Minuten zwischen innerem und äußerem Weckruf ist der Morgen um diese Jahreszeit noch ganz still. Ich liege zwischen Traum und Tag, langsam spannen sich die Muskeln an, Bilder des neuen Tages reihen sich vor das innere Auge. Manchmal will ich in diesen Momenten hektisch zum Handy greifen, um zu sehen, ob es tatsächlich kurz vor sechs ist, aber meistens zwinge ich mich zur Langsamkeit und überdenke lieber meine Träume.

Als gäbe es im Leben nur den einen Weg, dem man folgen müsste. Wie auf den Schienen einer Safari oder in der Geisterbahn: Verlassen Sie bitte auf gar keinen Fall den befestigten Weg, wenn Sie nicht erfahren wollen, dass wir Sie nur auf eine Reise durch Ihre eigene Angst schicken. Alles um Sie herum ist lediglich eine große Illusion, aber wenn Sie das erkennen, dann macht es doch gar keinen Spaß mehr. Bleiben Sie also bitte in Ihrem eigenen Interesse auf dem Weg und genießen Sie die von uns zu Ihrer Unterhaltung vorbereitete Dramatik. Und wenn Sie doch unbedingt vom Weg abkommen wollen, dann werden wir Sie ganz sicherlich nicht suchen. Dann haben Sie halt Pech gehabt.

Es ist neu für mich, dass meine innere Uhr mich weckt. Früher bin ich vom Klingeln des Weckers heftig aus einem Traum aufgeschreckt, dessen Inhalt ich zwar nicht mehr wusste, der in mir aber das Gefühl hinterließ, etwas besonders wichtiges vergessen zu haben. Während ich hektisch meine Zähne schrubbte, versuchte ich aus den übrig gebliebenen Fetzen auf den Inhalt des Traums zu schließen. Manchmal erwischte ich noch einen Zipfel, ein Bild wie aus einem Parallelleben, auf dem Balkon in einer Wohnung in der Südstadt. In einem Cabrio unterwegs mit Menschen, die ich schon aus früheren Träumen kenne. Wer weiß, wohin wir da fuhren, aber wir freuten uns darauf. Aus dem Autoradio erklingt Musik, die meinen Körper zum Tanzen auffordert und mich wünschen lässt, ich hätte Schlagzeugspielen gelernt.

Träume ziehen meine Seele nackt aus. Wenn alle anderen weg sind und ich mich ganz alleine im Dunklen wiederfinde, mit nichts weiter als mir selbst. Ich schließe die Augen, um zu sehen, was ich alles sein könnte, wenn ich die wäre, die ich sein wollte. Mit Spannung folge ich der Lebensgeschichte, die sich im Traum vor mir entfaltet. Margriet de Moor schrieb einmal, dass sich „in der Nähe des Lebens, in dem man zufällig gelandet ist, ein anderes befindet, das man seelenruhig genauso gut hätte führen können“. Wenn der Chaosprinz nur wüsste, wie viele Wege ich genommen habe, wie viele Brücken ich versucht habe zu überqueren, um wenigstens einen guten Kompromiss mit der Landkarte meines Lebens zu erreichen.

„Weißt du, was ich immer mache, wenn der Lehrer mich anschnauzt?“, fragt mein Sohn beim Frühstück. „Ich drücke immer mit meinem Daumennagel ganz fest in meinen Mittelfinger, damit mir das mehr wehtut als die Worte des Lehrers.“

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Herbstbunt

Die Ferien sind vorüber und der Herbst hat nun langsam die Landschaft übernommen. Im Garten verblüht das Unkraut und unter den vertrockneten Resten kommt wieder grüner Rasen zum Vorschein. Heimlich still über Nacht steigt immer öfter ein dichter Nebel über dem Feld vor dem Schachtelhaus auf. Morgens ist es jetzt schon dunkel und bitterkalt, wenn der Chaosprinz zur Bushaltestelle geht.

Um mich herum versinken Menschen im Unglück. Ich empfange schlechte Nachrichten wie ein falsch eingestellter Radiosender und frage mich, ob das schon immer so gewesen ist. Jemand liegt schwerverletzt im Krankenhaus, ein anderer ist jung gestorben. Ein Paar hat sich getrennt, weil sie wieder eine Fehlgeburt hatte, ein anderes, weil sie sich nach über 35 Jahren Ehe nichts mehr zu sagen haben. Vor meinem Fenster wird es dennoch bunt, die Natur setzt ihren Kreislauf fort. Seltsam, denke ich manchmal, dass alles der Veränderung unterworfen ist, nur eben der Kreis der Jahreszeiten nicht.
Vielleicht ist es auch nur ein menschlicher Irrglaube, dass die Jahresuhr sich konstant in ihrer Ebene dreht. Die Zeit gibt ihr als vierte Dimension doch vielmehr die Form einer Spirale. Und doch, in diesem ganzen Entstehen und Vergehen scheint nichts auf der Welt sich wesentlich zu verändern, außer uns selbst.

Tagsüber ist es noch warm im Schachtelhaus. Noch heizen die Sonnenstrahlen die Innenräume auf, auch wenn die Sonne jetzt viel tiefer steht und dadurch mehr blendet als wärmt. Am Nachmittag, wenn die Hausaufgaben erledigt sind, brühen wir uns eine Kanne Tee auf und kuscheln uns gemeinsam auf das Sofa. Ich nehme mein Strickzeug zur Hand und der Chaosprinz schaut mir zu.
Früher war die Welt viel bunter, sagt er, jetzt bleicht sie aus. Grau wird es, sagt er, und ich habe nicht das Herz, ihm zu sagen, dass es nicht die Welt ist, die ergraut, sondern das Leben. Überhaupt mache ich mir Sorgen um seine Zukunft, in den fünfzig Jahren meiner Zeit schien mir das Leben noch nie so nah am Abgrund gestanden zu haben wie heute.

Es ist nur der Herbst, denke ich dann. Er kommt zwar in bunten Blättern und goldenem Schein verheißungsvoll daher, aber wir wissen, dass nun der Winter auf uns wartet, kalt und dunkel und nur schwer zu ertragen. Deshalb sorge ich vor, ich stricke warme Decken aus bunter Wolle und singe dabei alte Kinderlieder, die ich fast vergessen hätte, würde ich sie dem Chaosprinzen nicht unermüdlich vorsingen. Die größte Angst bleibt unbesungen, sagt der Chaosprinz, während er sich an mich kuschelt, und ich denke, ich weiß ganz genau, was er damit meint.

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