Wenn der Morgen kommt, kurz bevor der Wecker klingelt, weckt mich mein eigener Biorhythmus. Freundlich flüstert er mir leise ein, dass es jetzt Zeit zum Aufwachen wird. Denn gleich ertönt der Alarm. Und damit ich mich nicht erschrecke, lässt meine autonome Intelligenz mich kurz vorher sanft aufwachen. In den wenigen Minuten zwischen innerem und äußerem Weckruf ist der Morgen um diese Jahreszeit noch ganz still. Ich liege zwischen Traum und Tag, langsam spannen sich die Muskeln an, Bilder des neuen Tages reihen sich vor das innere Auge. Manchmal will ich in diesen Momenten hektisch zum Handy greifen, um zu sehen, ob es tatsächlich kurz vor sechs ist, aber meistens zwinge ich mich zur Langsamkeit und überdenke lieber meine Träume.
Als gäbe es im Leben nur den einen Weg, dem man folgen müsste. Wie auf den Schienen einer Safari oder in der Geisterbahn: Verlassen Sie bitte auf gar keinen Fall den befestigten Weg, wenn Sie nicht erfahren wollen, dass wir Sie nur auf eine Reise durch Ihre eigene Angst schicken. Alles um Sie herum ist lediglich eine große Illusion, aber wenn Sie das erkennen, dann macht es doch gar keinen Spaß mehr. Bleiben Sie also bitte in Ihrem eigenen Interesse auf dem Weg und genießen Sie die von uns zu Ihrer Unterhaltung vorbereitete Dramatik. Und wenn Sie doch unbedingt vom Weg abkommen wollen, dann werden wir Sie ganz sicherlich nicht suchen. Dann haben Sie halt Pech gehabt.
Es ist neu für mich, dass meine innere Uhr mich weckt. Früher bin ich vom Klingeln des Weckers heftig aus einem Traum aufgeschreckt, dessen Inhalt ich zwar nicht mehr wusste, der in mir aber das Gefühl hinterließ, etwas besonders wichtiges vergessen zu haben. Während ich hektisch meine Zähne schrubbte, versuchte ich aus den übrig gebliebenen Fetzen auf den Inhalt des Traums zu schließen. Manchmal erwischte ich noch einen Zipfel, ein Bild wie aus einem Parallelleben, auf dem Balkon in einer Wohnung in der Südstadt. In einem Cabrio unterwegs mit Menschen, die ich schon aus früheren Träumen kenne. Wer weiß, wohin wir da fuhren, aber wir freuten uns darauf. Aus dem Autoradio erklingt Musik, die meinen Körper zum Tanzen auffordert und mich wünschen lässt, ich hätte Schlagzeugspielen gelernt.
Träume ziehen meine Seele nackt aus. Wenn alle anderen weg sind und ich mich ganz alleine im Dunklen wiederfinde, mit nichts weiter als mir selbst. Ich schließe die Augen, um zu sehen, was ich alles sein könnte, wenn ich die wäre, die ich sein wollte. Mit Spannung folge ich der Lebensgeschichte, die sich im Traum vor mir entfaltet. Margriet de Moor schrieb einmal, dass sich „in der Nähe des Lebens, in dem man zufällig gelandet ist, ein anderes befindet, das man seelenruhig genauso gut hätte führen können“. Wenn der Chaosprinz nur wüsste, wie viele Wege ich genommen habe, wie viele Brücken ich versucht habe zu überqueren, um wenigstens einen guten Kompromiss mit der Landkarte meines Lebens zu erreichen.
„Weißt du, was ich immer mache, wenn der Lehrer mich anschnauzt?“, fragt mein Sohn beim Frühstück. „Ich drücke immer mit meinem Daumennagel ganz fest in meinen Mittelfinger, damit mir das mehr wehtut als die Worte des Lehrers.“