Die letzten Tage waren angefüllt mit Problemen, die nicht uns gehören und trotzdem gelöst sein wollen. Wie ein Uhrwerk laufe ich: Telefonat hier, Gespräch dort, Email schreiben. Was ich herausfinde, klingt ungeheuerlich. Ein Schüler, die aus Gründen der Kommunalpolitik in eine Schule geschickt wird, die ihn nur deshalb aufnimmt, weil sie die Quote erfüllen muss. Sie weiß, sie wird ihn nach der Erprobungsphase wieder los, auf die eine oder andere Weise. Ein Förderbedarf der im AO-SF Verfahren von der Grundschule festgestellt wurde, fällt dabei unter den Tisch, er wird einfach vergessen. Nach der ordentlichen Kündigung will ihn aufgrund der fehlenden Förderung der letzten zweieinhalb Jahre jetzt keine Schule mehr aufnehmen. Eigentlich müssten hier Köpfe rollen. Wir sprechen von Veruntreuung von Geldern, Betrug und Vorspiegelung falscher Tatsachen. Wir sprechen von Verantwortungslosigkeit und mangelnder Fürsorge für ein zwölfjähriges Kind.
Die sich dem Ende zuneigende Woche verbrachte ich im Gespräch mit den höchsten Schulgöttern: Dezernenten der Bezirksregierung, Schulräten, Direktoren. Ich höre mir Geschichten an, Rechtfertigungen, Erklärungen. Es dauert, bis ich begreife, was da eigentlich passiert ist, und insgeheim denke ich, wäre das ein deutsches Kind, dann würden die Eltern seine Rechte kennen, und dann läge das Ganze längst bei einem Anwalt. Wäre ich kräftiger, würde ich die Presse informieren. Gäbe es ein Interesse an Kindern als wichtigste Ressourcen unserer Zukunft, müsste hier gerade alles in die Luft fliegen. Vielleicht werde ich, sobald das Kind ordentlich beschult wird, die Geschichte öffentlich machen. Vielleicht nur hier. Um einfach die Ungeheuerlichkeit aufzuzeigen, mit der nicht nur zweieinhalb Jahre Fördergelder eingestrichen wurden, sondern mit der Zukunft von Kindern gespielt wurde. Vielleicht stelle ich den Direktor bloß, der mich gestern kleinlaut darum bat, die Zeugnisse der vergangenen zweieinhalb Jahre vorbeizubringen, damit sie umgedruckt werden können. Das Armutszeugnis seiner Versäumnis würde dann einfach durch den Reißwolf geschickt.
Parallel dazu beschäftigte mich die Geschichte einer alten Schulfreundin, deren Hilferuf mich stellvertretend, aber vertraulich über weitere Schulfreundinnen erreicht. Sie ist seit August obdachlos. Zwei Wochen engagiere ich mich auch hier auf allen Ebenen, suche nach Lösungen, finde Ansprechpartner, ziehe Strippen. Es stellt sich heraus, dass der Fall schon stadtbekannt ist. Durch die Blume gibt man mir zu verstehen, dass ich besser die Finger davon lasse. Denn besagte Schulfreundin schafft es offenbar immer wieder, andere Menschen so heftig zu manipulieren und unter Druck zu setzen, dass sie sie bei sich aufnehmen oder ihr eine private Unterkunft zahlen. Das Muster ist schnell ausgemacht: immer wenn sie ihr Interimsdomizil verlassen soll, droht sie, sich etwas anzutun. So lässt sich dann schnell wieder eine Alternative finden. In der Zwischenzeit lehnt sie ab, sich beraten zu lassen, ihre Schulden zu sichten und sich selbst um eine Bleibe zu kümmern. Sie lehnt aber auch alle konkreten Hilfsangebote öffentlicher Stellen ab. Die sind ja auch alle nicht nötig, solange sich nur ausreichend Idioten finden, die ihren verantwortungslosen Lebensstil bereitwillig finanzieren, sobald sie ihnen verzweifelt ins Telefon schreit, niemand würde ihr helfen wollen, die ganze Welt habe sich gegen sie verschworen und überhaupt seien alle ja ohnehin nur hypokritische Tölpel außer ihr selbst. Das hat weite Kreise durch die Stadt gezogen, soviel wird mir schnell klar. Ich informiere die anderen Beteiligten und versuche sie davon zu überzeugen, dass es keine Hilfe geben kann, wenn jemand sich vehement weigert, sie anzunehmen. Zwei Wochen lang halten mich alte Schulfreundinnen nachts wach, um die Inszenierung der vermeintlich Hilfsbedürftigen aus allen Blickwinkeln zu beleuchten. Und immer wieder verhallt ungehört mein sanfter Hinweis darauf, dass es für eine geförderte Wohnung mit negativer Schufa in einer solchen Großstadt mehr als nur eine Fee mit Feenstaub bräuchte. Dass es um die Wohnung aber gar nicht gehe. Und dass man die Schulfreundin eher dazu ermutigen sollte, sich professionelle psychologische Unterstützung zu suchen, statt den nächsten Hausarzt, der ihr in ihrer Eigenmedikation Psychopharmaka verschreibt.
Vor zwei Tagen stand ihr nächster Auszug an. Die Schulfreundin tobt. Sie wird ausfallend, sie droht. Ihr Publikum ist beunruhigt und verunsichert. Schließlich packt sie ihr Handy und fährt los, auf dem Tisch liegen drei Abschiedsbriefe, die sorgfältig geplante und immer wieder ausgeführte Inszenierung erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt. Hektisch werden Nachrichten hin und her geschickt, angespannt wird die Lage beobachtet. Eine Nacht voller Gespräche bricht an, die Polizei wird informiert und bringt die Schulfreundin schließlich in die Notfallambulanz der Psychiatrie. Von dort wird sie nach einem halbstündigen Gespräch wieder entlassen. Ich beobachte mich dabei, wie ich selbst zwischen Angst, Mitgefühl und Abscheu vor dieser Schmierenkomödie stehe. Schließlich findet sich gegen Morgen der nächste Idiot, der ein Air B&B für die nächsten sechs Wochen finanziert. Ihr Ziel hat die Schulfreundin wieder einmal erreicht und alle atmen erleichtert auf. Eine Fortsetzung ist für heute in sechs Wochen angesetzt.
Heute früh befällt mich eine ungeheure Erschöpfung infolge meines zweiwöchigen Ausflugs in die ehrenamtliche Sozialarbeit.
Ich werde versuchen, die Schulgeschichte des Dschingis Khan des Nordens zu klären, im Sinne des Kindes die Familie bei ihren nächsten Schritten zu unterstützen, und mich dabei nicht von obersten Schulgöttern einschüchtern zu lassen. Hilfe, die ich gern angeboten habe, auch wenn dieses Schuldrama mich an den Rand meiner Kräfte gebracht hat. Das und sehr viel mehr hat der Dschingis Khan des Nordens absolut verdient. Das und sehr viel mehr hätte jedes Kind verdient.
Was die gestörte Schulfreundin angeht, so werde ich sie und all ihre künftigen Komparsen ihrem schlechten Bühnenauftritt überlassen müssen, denn dieses schmierige Drama um ausgemachte Verantwortungslosigkeit, manipulative Egozentrik und undankbare Hybris hat mir nicht gefallen. Ich verlasse deshalb dieses Theater unter Buhrufen.
o je, das ist aber wirklich zu viel auf einmal. ich denke häufig an das arme kind und diese zum himmel schreienden zustände. wir gut dass du für ihn da bist. danke dafür.
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Bin auf jeden Fall mit dir bei dem Entschluss am Ende. Selbstschutz kann lebenswichtig werden! Bei noch so vielen Buhrufen…
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