Es ist Wochenende, die Tage bis dahin sind immer sorgfältig abgezählt und sehnsüchtig erwartet. Zwölf Uhr Mittag, bis vor einer Stunde habe ich noch geschlafen. Der Chaosprinz spielt mit dem besten Freund. Aus einer Bananenkiste haben sie einen Bankautomaten gebaut, mit Karteneinzug und Geldausgabe. Der Automat steht nun mitten im Wohnzimmer und wartet auf seinen ersten Einsatz.
Draußen ist es immer noch kalter Winter, immer noch liegt kein Schnee und langsam fühle ich mich darum betrogen. Statt dessen grauer Nieselregen, der vom Himmel fällt, so leicht, dass man ihn kaum sehen kann. Wie ein Schleier legt er sich über den Blick und macht fast unsichtbar alles nass. Nur die Tropfen am nackten Rosenstrauch werden immer schwerer, bis sie schließlich zu Boden fallen.
Mein Kaffee schmeckt grässlich. Aus Kostengründen wechselte die Suppenfreundin beim letzten Einkauf zu einer Hausmarke. Ich frage mich, wer diese Brühe trinken soll, da fällt mir ein, für wen sie diese Abscheulichkeit überhaupt produzieren: für Menschen wie mich. Solche, für die es einen gewaltigen Unterschied macht, ob sie für ein Paket drei Euro mehr bezahlen. Aber diese Brühe kann man wirklich nur wegschütten.
Die letzten Jahre haben tiefe Furchen hinterlassen. Wir suchen die Nähe zueinander, rotten uns zusammen gegen die Kälte von draußen, dann hocken wir aufeinander und stoßen uns wieder ab. Ein bisschen Privatsphäre im eigenen Zimmer, dann kommt der Chaosprinz zurück, einsam und ein wenig gelangweilt. Eine Partie Schach, ein paar englische Vokabeln, kuscheln mit dem Hund. Seine Kindheit gegen meine eigene, erwachsen zu werden war damals schon anstrengend.
Vergiss nicht zu rennen, sage ich zu ihm, ganz gleich, in welche Richtung.
Und so träume ich heute vom Meer. Von der Hitze des Südens, salziger Luft und Plätzen, die ich Heimat nannte. Von Menschen, die es längst nicht mehr gibt. Ich träume von einem kleinen, einfachen Restaurant am Hafen eines kleinen Fischerdorfes, in dem es seit über vierzig Jahren den besten Fisch gibt. Meine Mutter folgte damals den Einheimischen, während die Touristen sich von bunten Tischdecken und gut gekleideten Kellnern zu billigem Tiefgefrorenen verführen ließen.
In mir schlafen fünfzig Jahre Einsamkeit.
Ich träume von fernen Ländern, die ich nur aus dem Fernsehen kenne. Von hohen Bergen und tiefen Schluchten, klaren Horizonten über weitem Ödland. Von Orten, an denen kein Regentropfen fällt, und sternklaren Nächten, in denen man die Melodie des Universums hören kann.
Ich habe Heimweh nach jemandem, der sich freut, mich zu sehen, und Fernweh nach dem, was ich noch nicht kenne. Es klingt danach, aber das ist kein Widerspruch. Gabriel Garcia Marquez nannte es „Leben, um davon zu erzählen“.
Das Leben aber kommt aus der Konserve.
Ich blättere Fotoalben durch, lese alte Reiseberichte, schaue Videos über ferne Winkel auf Youtube. Manchmal gehen wir auf google earth. Dann suchen wir nach Megastädten in Asien und einsamen Stränden im Pazifik, Urwäldern im Süden Amerikas und Wüsten in Zentralafrika. Ich zeige ihm Sibirien und Kamtschatka, kilometerweit nur Wälder und Steppen. Island und Madagaskar. Und wo wir uns befinden. Ich zeige dem Chaosprinzen, wie groß die Welt ist. Er staunt, wie klein im Vergleich dazu unsere eigene ist.
Natürlich schütte ich meinen Kaffee mangels Alternative nicht weg. Ich probiere ein bisschen weniger Kaffeepulver, ein bisschen mehr Milch, noch einen Löffel Zucker, aber das Zeug lässt sich einfach nicht trinkbar machen. Ich werde versuchen, mich daran zu gewöhnen.