Schlagwort-Archive: Klassenfahrt

Hurra, der Chaosprinz ist wieder da!

Eines der vielen Ereignisse, auf die das Leben einen nicht vorbereitet, wenn man ein Kind hat, fand vergangene Woche von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt statt: Der Chaosprinz war zum ersten Mal auf Klassenfahrt. Jetzt ist er wieder da und mein Herz läuft über vor Dankbarkeit und Freude. Denn diese Stunden, in denen der Chaosprinz mit seiner Klasse unterwegs war, waren die längsten meines Lebens. Bisher.

Er sprudelt, der Chaosprinz. Erzählt von Nachtwanderungen und versunkenen Vulkanen, von der Mühe, seine Bettwäsche aufzuziehen und der Sturmwarnung, die das Stockbrotevent verdorben hat. Von der defekten Musikanlage, die bei jedem dritten Lied während der Kinderdisko einfach ausgefallen ist, und von seinem Mitbewohner, der ihn nicht hat schlafen lassen.

Und dann erzählt der Chaosprinz noch etwas anderes: Auf der Hinfahrt wies ihn eine Lehrerin an, seinen Rucksack zu übergeben. Sie kramte ihn komplett durch, holte die Sachen heraus und ließ dann ab: „Einpacken!“ Eine Entschuldigung erhielt er nicht.

Der Chaosprinz war nämlich auf der Hinfahrt unter Verdacht geraten, heimlich sein Handy auf die Klassenfahrt geschmuggelt zu haben. Weshalb, das weiß er auch nicht so genau. Er murmelte etwas von einer email, konnte aber den genauen Grund nicht wiedergeben. Offenbar hatte die Lehrerin ihn vorher gefragt, ob er sein Handy heimlich dabei hätte. Der Chaosprinz antwortete wahrheitsgemäß. Er besitzt nämlich noch gar keines. Seine Mutter ist ein blöder, völlig anachronistischer Dinosaurier, der findet, dass Grundschulkinder noch kein eigenes Handy brauchen. Ebenso wie keinen eigenen Computer, keine Spielkonsole, nicht einmal einen eigenen Fernseher im Zimmer. Ja, so scheiße ist seine Mutter.

Ich war außer mir vor Wut.
Zunächst einmal ist mir von Elternseite wohl bekannt, welche Kinder sich über das Verbot hinweggesetzt und ihre Handys trotzdem mitgenommen haben. Ich verurteile diese Eltern nicht. Wer, wenn nicht ich, könnte besser verstehen, wie schwer es ist, das eigene Kind zum ersten Mal fast ganze drei Tage loszulassen, ohne zumindest mal zu hören, wie es läuft. Ich selbst hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, ins Auto zu steigen und dem Chaosprinzen inkongnito nachzufahren, ist doch ein freies Land? Ich könnte doch rein zufällig – ? Nein! Tatsächlich habe ich tapfer diese Zeit in würdevoller Panik im Pyjama auf dem Sofa durchgestanden. Dafür bewundere ich mich jetzt noch nachträglich.

Desweiteren: Mit der Ankündigung der Klassenfahrt und der beigefügten Zahlungsaufforderung kam unter anderem eine lange Liste Vorgaben für die mitzubringenden Sachen. Ich habe alles auf einen Haufen gesammelt. Dann habe ich alles in den Koffer gepackt. Dann packte ich alles wieder aus und ließ den Chaosprinzen packen. Schließlich musste er wissen, wo seine Sachen sich befinden, nicht ich. Selbst wenn, das möchte ich hier ausdrücklich betonen, selbst wenn der Chaosprinz ein eigenes Handy besitzen würde, so hält er sich doch an Regeln. Und wenn nicht er, dann doch ganz sicherlich ich. Dafür bin ich schließlich verantwortlich.

Ich schluckte meine Wut hinunter, nachdem ich kurz im Netz recherchiert hatte, dass Lehrer überhaupt nicht befugt sind, in das Reisegepäck der Kinder zu schauen, selbst dann nicht, wenn ein berechtigter Verdacht vorliegt. Der Chaosprinz hatte in seiner Angst seinen Rucksack übergeben, ein Anwalt würde wohl von Machtmissbrauch über Schutzbefohlene sprechen, es lag aber keine konkrete Verweigerung von seiner Seite vor. Ich schrieb einen freundlichen Brief, in dem ich erfragte, wie der Chaosprinz denn überhaupt unter Handyverdacht geraten sei. Ich verkniff mir, die Lehrerin darauf hinzuweisen, dass sie wohl über die Hälfte aller Süßigkeiten, Colaflaschen, horrender Taschengeldsummen und nicht zuletzt mehr als ein Dutzend Handys einkassiert hätte, hätte sie mal in die Koffer der anderen Kinder geschaut, statt den Rucksack meines Kindes zu durchsuchen. Ich erlaubte mir nicht einmal die Bemerkung, dass es in der Regel doch immer genau die Kinder seien, von denen man gar nicht erwarte, dass sie die Regeln brechen, die die Regeln dann tatsächlich brechen. Wenn ich als ehemalige Schülerin das schon weiß, sollten Lehrerinnen das doch eigentlich auch wissen. Ich sprach auch nicht davon, wie demütigend es für den Chaosprinzen gewesen sein muss, dass nur sein Rucksack durchsucht worden ist. Oder wie beleidigend das für mich als Mutter ist. Denn J. hat Recht, wenn sie sagt, dass die Geschichte eigentlich nur für einen furchtbar demütigend ist, nämlich für die Lehrerin selbst.

Ich packe den Koffer des Chaosprinzen Stück für Stück aus. Alles darin ist feucht. Die Hälfte aller Socken fehlt, die andere passt nicht zusammen. An der Jeans klebt der Dreck. Ein Schuh ist im Rucksack, der andere im Koffer, aber immerhin sind beide da. Die Zahnbürste ist unangetastet. In einer Tüte befinden sich ein halbes Dutzend faustgroßer Sandsteine. Sie haben durch den Koffer gebröselt.

Alles in allem also genau so, wie ich es erwartet hatte. Der Chaosprinz war auf seiner ersten Klassenfahrt. Er war für sich selbst verantwortlich, musste Schwierigkeiten bewältigen, wurde unter Verdacht gestellt, hat spät abends Liebesbriefe unter der Tür des benachbarten Mädchenzimmers hindurchgeschoben, ist lange aufgeblieben und hat Gruselgeschichten mit seinem Zimmernachbar getauscht. Er hat sich sein Frühstück vom Büffet organisiert, seine Lunchbox allein bestückt, sich Getränke aus dem Automaten gezogen und abends über die schlechte Herbergsküche gemault. Er hat seiner Mutter und der Suppenfreundin sogar ein Geschenk mitgebracht. Und was für eins!

Die Mutter des Chaosprinzen war unterdessen stark genug, ihrem wundervollen Kind und dem Leben selbst zu vertrauen, und hat ihrem Chaosprinzen heiter eine fantastische Zeit gewünscht. Sie hat ihm unentwegt Mut gemacht und ihm eine Menge Spaß versprochen. Und sie hat heimlich nur ein ganz kleines bisschen geweint, als sie dem Chaosprinzen nachgewunken hat. Seine Mutter hat ihre übermächtige Panik immer wieder tapfer bezwungen wie eine Bärin, während sie über 52 Stunden hindurch auf ihren Sohn gewartet hat, die Uhr fest im Blick. Sie hat andere Mütter, die in ähnlicher Panik bei ihr anriefen, um zu hören, ob sie etwas gehört habe, beruhigt und ihnen gesagt, dass keine Nachrichten immer gute Nachrichten sind. Die Mutter des Chaosprinzen ist eine Heldin gewesen, die ihren Chaosprinzen nach der Ankunft in den Arm genommen und fast zwei ganze Stunden nicht mehr losgelassen hat. Und dabei hat sie dann bemerkt, dass der Chaosprinz in diesen Tagen ein ganzes Stück gewachsen ist.

Werbung

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Uncategorized