Jeden zweiten Sonntag gibt es bei uns Gemüsesuppe. Denn jeden zweiten Freitag kommt der Tafelmann und bringt eine Kiste voller Gemüse. Das meiste muss sofort verarbeitet werden, denn vieles davon ist schon ziemlich angegammelt.
Jedes Mal, wenn meine Mutter Suppe kochte, erzählte sie mir die Geschichte von der Steinsuppe.
Sie geht ungefähr so: Ein Fremder kommt mit einem leeren Kochtopf in ein Dorf. Er bittet die Dorfbewohner um etwas zu essen, aber an welche Tür er auch klopft, niemand hat etwas. Daraufhin geht der Fremde zum Bach, füllt den Topf mit Wasser und macht auf dem Marktplatz ein Feuer. Er stellt den Topf mit Wasser auf das Feuer und legt einen großen Stein hinein. Die Dorfbewohner werden neugierig und versammeln sich um den Fremden. Einer fragt, was er da macht, und der Fremde sagte, er mache eine „Steinsuppe“, die sehr lecker sei und die er gern mit allen Dorfbewohnern teilen würde. Allerdings fehlen ihm noch einige, wenige Zutaten, um den Geschmack zu verbessern. Was ihm denn fehlen würde, fragte ein andere. Der Fremde antwortet, dass ihm noch ein paar Möhren fehlen. Der Dorfbewohner hatte noch einige und gab sie dem Fremden. Ein anderer sagte, er hätte noch ein paar Kartoffeln. Sie wurden der Steinsuppe hinzugefügt. So brachte nach und nach jeder Dorfbewohner, was er noch hatte und erübrigen konnte, und immer mehr Zutaten wanderten in die Steinsuppe: Zwiebeln, Sellerie, Lauch, Tomate, Mais, Schmalz, Salz, Pfeffer und Fleisch. Am Ende nahm der Fremde den Stein aus dem Topf und teilte die Suppe mit den Dorfbewohnern.
Jedes Mal, wenn ich an jedem zweiten Sonntag unsere Sonntagssuppe koche, erinnere ich mich an diese Geschichte. In unsere Suppe kommt alles, was mitgekommen ist. Dadurch ist sie immer anders und ich fühle mich wie eine richtig gute Köchin.
Suppen sind überhaupt ganz großartig. Sie kommen in den unterschiedlichsten Gewändern daher. Mit Suppen wird es nie langweilig, trotzdem essen wir sie viel zu selten. Eine Tante von mir machte zu jedem Mittagessen eine Suppe. Sie nutzte dafür einfach die übrig gebliebene Gemüsebeilage vom Vortag. Eine tolle Idee.
Nun bin ich wirklich keine gute Köchin, nicht einmal eine ganz passable. Meine Qualitäten liegen auf weit unpraktischeren Gebieten. So kann ich zum Beispiel ganz ordentlich bügeln. Da wir aber so gut wie gar keine Bügelwäsche haben, besitzen wir auch kein Bügeleisen mehr und so verpufft meine Fähigkeit ins Leere.
Abgesehen davon, dass wir kein einziges Stoffteil im Haus bügeln und nur sehr unregelmäßig kochen, gehen wir noch viele andere Kompromisse bei der Hausarbeit ein. Das fällt vor allem mir schwer, denn ich möchte alles immer perfekt haben. Das Haus glänzt, vom Fußboden lässt sich speisen, ein jedes Ding hat seinen Platz und alle drei Tage wird die Bettwäsche frisch aufgezogen. Kurzum, ein auf Hochglanz gebürstetes Zuhause wie aus dem Katalog. Niemand lebt so, sagt die Suppenfreundin, wenn ich im Übereifer mal wieder den Staubsauger schwinge, wirklich niemand. Und dann lasse ich es auch meistens gut sein.
Aber auf die Steinsuppe jeden zweiten Sonntag muss ich bestehen. Sie krönt mich zu der guten Hausfrau, die ich gern wäre. Eigentlich, so denke ich manchmal, bräuchten wir für unsere Steinsuppe eine dieser altmodischen Suppenschüsseln aus Keramik. So eine, wie sie sich der Michel aus Lönneberga über den Kopf gezogen hatte und die dann zerschlagen und wieder geklebt werden musste. Aber das wäre nur ein weiteres Teil, das gespült werden müsste. Und so gibt es unsere Sonntagssuppe heute wieder aus dem Kochtopf. Mit diesem Kompromiss kann ich aber ganz gut leben.