52 Stunden

Eine nicht unerhebliche Anzahl Stunden habe ich in meinem Leben mit Warten zugebracht. Warten auf besondere Ereignisse, auf Urlaube oder Wochenenden. Warten auf Klausurtermine, Geschäftsmeetings, Arztbesuche. Warten auf Ankünfte und Abfahrten, das Klingeln von Schulglocken oder den Postboten, auf Sonnenuntergänge und darauf, dass es wieder Morgen wird.

Der Chaosprinz ist seit einer Stunde unterwegs auf Klassenfahrt. Sie fahren in irgend ein Nest irgendwo im Westerwald, einfach nur, um wegzufahren, denn zu sehen gibt es dort eher nichts. Ich habe ihm tapfer jede Menge Spaß gewünscht und, kaum dass er aus der Tür war, meinen Timer auf 52 Stunden gesetzt. Die gilt es jetzt abzuwarten und durchzustehen. Ich widerstehe dem Impuls, in meine Schrottschleuder zu springen und ihm einfach nachzufahren. Mich dort irgendwo einzuquartieren und ihn aus der Ferne zu beobachten. Ich bin keine Helikoptermutter!

Jemand warf mir einmal vor, kein Vertrauen ins Leben zu haben. Wie sollte man das denn auch haben? Dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest sind wir doch völlig gleichgültig und selbst einander bedeuten wir nichts.

Ich bin keine Helikoptermutter, aber es ist so schwierig, erwachsen zu werden. Das weiß ich, denn ich musste ja selbst mal erwachsen werden. Allerdings waren das noch ganz andere Zeiten. So erinnere ich mich als Achtjährige, wie ich vor dem Podestpult von Schwester Carola stand. Sie schob ihre Lesebrille auf die Spitze ihrer Knollennase und sah über die Brillengläser hinweg prüfend auf mich herunter, bevor sie einen Blick in mein Heft warf. Und für diesen einen, kurzen Moment blieb mein Herz einfach stehen.
Ich bin keine Helikoptermutter. Leichter ist es im Laufe der Zeit nicht gerade geworden, das Erwachsenwerden. Das Erwachsensein aber auch nicht. Denn ganz gleich, wie du es machst, du machst es ohnehin verkehrt. Bei all dem, was Eltern alles falsch machen, ist es ein Wunder, dass es uns überhaupt noch gibt. Bei allem, was Eltern alles falsch machen könnten, ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen beschließen, keine werden zu wollen. Und, da seien wir mal ganz ehrlich, hätten Eltern immer ganz genau gewusst, was da eigentlich auf sie zukommt, wären wir längst ausgestorben. Andererseits ist das wohl auch so, wenn du dir eine verdammte Zimmerpflanze im Gartencenter kaufst. Immer, immer, immer kommt irgendjemand daher, der sich berufen fühlt, dir wortreich zu erklären, wie du es besser machen könntest.

Zweiundfünfzig Stunden.
Durchzustehen mit viel gutem Willen und einer ordentlichen Portion Ablenkung.
Und so wird es gehen. Irgendwie.

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2 Kommentare

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2 Antworten zu “52 Stunden

  1. Ist schon lange sehr ernst. Die meisten sind Asis, aber ja, manchmal erscheint eine Botschaft vom Schutzengel. Wenn auch nur, um mich an ihn zu erinnern 😉

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  2. Dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest sind wir doch völlig gleichgültig und selbst einander bedeuten wir nichts.

    Ganz klar Nöö 🙂 Irgend eine Macht meint es gut mit uns und so etwas wie Schutzengel soll es auch geben. Daran glaube ich, sonst gäbe es mich nicht mehr.

    Vertrauen? Dein Chaosprinz wird in Kürze gefüllt mit Eindrücken und Worten bis an den Rand vor dir stehen und dir die vergangenen Stunden sprudelnd vortragen. Und – wenn es wirklich mal ernst wird, sieht man immer zwei Archetypen: Die Asis, die die Situation noch ausnutzen und jene, die selbstlos helfen. Selbst glaube ich erst einmal an letztere. Wird schon 🙂

    Liebe Grüße, Reiner

    Gefällt 1 Person

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